Was sich neckt, das küsst sich (German Edition)
Mann? Ich erwarte nie …“
Rafe hatte seine Schwester seit beinahe sieben Jahren nicht mehr gesehen. Sie war groß und schlank und hatte die Figur einer Tänzerin. Anders als seine Brüder hatte sie grüne Augen und honigfarbenes Haar. Doch in der Form ihres Gesichts erkannte er May wieder.
Ihre Miene wirkte eher resigniert als erfreut - wenig überraschend, wenn man an ihre letzte Unterhaltung dachte. Falls man das Unterhaltung nennen konnte, dachte er. Er hatte geschrien, und Evie hatte kein Wort gesagt. Dann war sie weggegangen, und er hatte sie bis zu diesem Moment nie wiedergesehen.
„Was tust du hier?“, fragte sie.
„Du kennst ihn?“
„Er ist mein Bruder.“
Die Blonde kam auf ihn zu.
Rafe schüttelte den Kopf. „Ich bin immer noch nicht interessiert.“
„Warum nicht?“
„Ich habe eine Freundin.“ Zumindest hoffte er, dass er sie bald hätte. Aber erst musste er ein paar Dinge geraderücken.
„Kann ich dich irgendwo auf einen Kaffee einladen?“, fragte er Evangeline.
Er vermutete, dass sie Nein sagen wollte, aber auch keine Lust hatte, vor ihrer Zimmergenossin mit ihm zu reden. Also nickte sie nur und verschwand in ihrem Zimmer. Sekunden später tauchte sie wieder auf, eine kleine Handtasche mit einem langen Trageriemen quer über die Schulter gehängt. Anders als die Blondine trug sie eine Jeans, und ihr T-Shirt reichte tatsächlich bis zur Hüfte. Sie schlüpfte in ein paar Slipper.
„Es wird nicht lange dauern“, sagte sie und folgte ihm zur Tür.
Stumm gingen sie zum Auto und stiegen ein. Er hatte auf dem Hinweg bereits einen Starbucks gesehen und fuhr direkt dorthin. Sie gingen hinein, gaben ihre Bestellung auf, nahmen ihre Becher und ein paar Scones und setzten sich an einen Tisch in der Ecke.
Rafe musterte seine Schwester, nahm ihre feinen Gesichtszüge in sich auf. Evangeline war immer schon dünn gewesen. Das war ihr natürlicher Körperbau, der durch das Tanzen nur noch betont worden war. Aber jetzt wirkte sie beinahe zerbrechlich, und er sah etwas in ihren Augen … War es Skepsis oder Verzweiflung?
„Bekommst du genügend zu essen?“, fragte er, bevor er sich zurückhalten konnte.
Sie schaute ihn an und hob die Augenbrauen. „Damit willst du unsere Unterhaltung anfangen? Ist das dein Ernst?“
„Tut mir leid. Nein.“ Er trank einen Schluck von seinem Kaffee. „Es ist schön, dich zu sehen.“
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Warum bist du hier?“
„Ich habe viel an dich gedacht und wollte wissen, wie es dir geht.“
„Du hättest anrufen können.“
„Ich wollte dich sehen.“
„Warum? Warum sollten wir zwei auf einmal in Verbindung treten?“
Er wollte darauf hinweisen, dass sie diejenige gewesen war, die von der Bildfläche verschwunden war. Er war ihr nachgegangen … Okay, technisch gesehen hatte er einen Assistenten geschickt, um mir ihr zu reden. Evangeline hatte gesagt, er solle sich verdammt noch mal aus ihrem Leben heraushalten. Das war ein direktes Zitat. Und er hatte ihrem Wunsch entsprochen. Hatte sich eingeredet, sie werde sich schon wieder beruhigen, wenn sie so weit war. Dass sie wisse, wo sie ihn finden konnte. Oder ihre Mutter oder Shane oder Clay.
Was er vorgezogen hatte, zu ignorieren, war, dass sie gerade einmal achtzehn Jahre alt gewesen war. Sie war ohne Ausbildung, ohne irgendetwas von der Juilliard fortgegangen, und er hatte es einfach zugelassen. Denn das war einfacher, als sich mit ihr auseinanderzusetzen. Er hatte ein paar Tausend Dollar auf ein Konto überwiesen und ihr über seinen Assistenten mitteilen lassen, dass sie ihn aufsuchen könne, wenn sie mehr benötige. Sie hatte das Geld genommen und das Konto am nächsten Tag aufgelöst.
„Wie geht es dir?“, fragte er.
„Gut“, sagte sie.
„Tanzt du?“
Sie funkelte ihn an. „Warum bist du hier? Was willst du?“
„Reden. Dich wieder besser kennenlernen. Wir sind eine Familie.“
„Nein, wir sind miteinander verwandt. Eine Familie ist eine Gruppe von Menschen, die sich umeinander kümmert. Ich habe eine Mutter, die mich seit meiner Geburt ignoriert hat, und einen ältesten Bruder, der mein Leben lang jede Entscheidung, die ich getroffen habe, missbilligt hat. Ich schätze, Shane und Clay sind meine Familie.“
Sie stand auf. „Danke, dass du vorbeigeschaut hast.“
„Warte.“ Er erhob sich ebenfalls. „Bitte.“
Verdutzt schaute sie ihn an. „Bitte? Du kannst das Wort wirklich aussprechen, ohne zu Staub zu zerfallen? Das hätte ich nicht
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