Was uns glücklich macht - Roman
fließendes Wasser überall in meinem Körper ausgebreitet hatte, wich heiß glühendem Schmerz.
Plötzlich konnte ich den emotionalen Hämmern, die auf mich einschlugen, nicht mehr standhalten: ungläubige Fassungslosigkeit, mörderische Wut, tief verletzte Traurigkeit. Und am schlimmsten: Mitleid. Ich habe noch für keinen Menschen so viel Mitleid empfunden wie jetzt plötzlich für mich.
Ich kroch ins Bett und vergrub den Kopf unter so vielen Kissen, wie ich aufstapeln konnte. Ich wollte nichts als pechschwarze Finsternis. Ich wollte nie wieder sehen. Das Mitleid drohte mich aufzufressen, und ich kam auf den Gedanken, dass Selbstmitleid das verheerendste Gefühl von allen ist. Zorn kann einen motivieren, Traurigkeit wachrütteln, doch Mitleid lähmt einen nur. Ich konnte nicht einmal weinen, mir fehlte die Kraft dazu. Ich bekam kaum Luft, meine Brust fühlte sich schwer und wie zugeschnürt an. Ich versuchte tief Atem zu holen, meine Gedanken zu sammeln. Ich war achtundzwanzig. Nach dem College habe ich mich beim Friedenscorps gemeldet. Danach war ich TV -Produzentin in New York. Jetzt bin ich eine betrogene frisch Verheiratete.
In diesem Augenblick roch ich ihn. Eines der Kissen auf meinem Kopf musste seines gewesen sein, denn plötzlich spürte ich ihn überall. Ich versuchte dem zu entgehen, rollte mich aber versehentlich auf seine Seite des Betts und in die Kuhle, die er im Schlaf gemacht hatte. Dann berührte ich mit der Hüfte einen nassen Fleck, und ich schoss aus dem Bett wie von einer Kanone abgefeuert. Das war sein feuchter Fleck auf der Matratze – wir hatten diese Nässe zusammen gemacht – wie lang war das jetzt her? Es fühlte sich an, als läge es Tage zurück, aber wie lang war es wohl wirklich her? Eine Stunde? Weniger? Ich konnte ihn noch spüren, auf meinem Körper, in mir, und ohne nachzudenken riss ich mir alles vom Leib und lief in die Dusche. Ich stellte das Wasser so heiß, wie ich es gerade noch ertrug, und schrubbte mich ab. Sobald meine Haut so rosa und sauber war wie möglich, drehte ich das Wasser ab, zog einen Sport- BH , Laufshorts und Sneakers an, und dann war ich draußen, nur wenige Schritte vom Strand entfernt. Und in der nächsten Sekunde fing ich an zu laufen.
Ich weiß nicht, wohin ich unterwegs war. Ich wusste nicht mal so genau, wo ich eigentlich war, ich wusste einfach, dass ich jetzt laufen musste, um wieder zu mir zu finden. Das Selbstmitleid drohte mich aufzuhalten, drohte mich zu Boden zu ringen, doch ich machte einfach weiter. Ich bin kein Mensch, der sich selbst bemitleidet, sagte ich mir. Das bin ich nicht.
Ich bin es wirklich nicht. Ich empfinde für sehr viele Leute Mitleid, aber nie für mich selbst. Mir tun dieselben Leute leid wie Ihnen: Waisen, Zirkusfreaks, alleinerziehende Mütter, Straßenkinder, verwitwete Väter, Kinder mit drogenabhängigen Eltern, Drogenabhängige, blinde Hausierer, gehörlose Bettler und jeder, dem ein Arm, ein Bein oder sonst irgendein wichtiges Körperteil fehlt. Bei Ihnen ist die Liste hier möglicherweise zu Ende, aber bei mir fängt sie erst an.
Mir tut die Frau furchtbar leid, die am Drive Thru des Dunkin’ Donuts arbeitete, nicht weit vom Haus meines Vaters in Connecticut. Auch bei minus dreißig Grad saß sie am Fenster, lehnte sich ohne Mantel und ohne Handschuhe hinaus, machte Scheine klein, reichte Kaffee hinaus, und immer mit einem Lächeln im Gesicht. Ich staunte über ihre Zufriedenheit, beneidete sie manchmal sogar darum. Einmal fragte ich sie, warum sie immer so glücklich aussehe, und sie erzählte mir ihre Lebensgeschichte, die so schrecklich war, dass man es kaum glauben konnte. Ihr Ehemann schlug sie, ihre Tochter starb bei einem Verkehrsunfall, einen Monat schlief sie im Flur ihrer Kirche, und sie schloss mit der Bemerkung: »Das hier ist der schönste Teil meines Tages, wenn ich all diese netten Leute um mich habe.« Ich schaute mich um und sah die typische Ansammlung von Leuten, die man in einem Dunkin’ Donuts erwarten würde, und auf mich machten nicht alle einen netten Eindruck. Aber für sie war es der schönste Teil des Tages, wenn sie undankbaren Menschenmassen preiswerte Snacks verkaufen durfte. Das war ihr Leben. Eines Tages war sie dann nicht mehr da. Ich weiß nicht, was passiert ist, sie war einfach verschwunden. Ich habe versucht, mich in dem Laden umzuhören, aber keiner wusste, was mit ihr passiert war. Sie ist einfach nicht mehr aufgetaucht. Der Manager sagte zu mir: »Unsere Leute finden
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