Was - Waere - Wenn
Zerreißen gespannt.
»Sie hat doch gar keine Ahnung, wo ich stecke. Wahrscheinlich macht sie sich
schon riesige Sorgen.« Tim springt auf und tigert unruhig durchs Zimmer. Aber
die Entscheidung kann ich ihm nicht abnehmen. Schließlich kramt er sein Handy
hervor und wählt eine Nummer. Er will sie anrufen. Und dann was sagen?
Liebling, ich komme nicht wieder. Und du übrigens auch nicht. Jedenfalls nicht
mit mir. Als hätte er das gleiche auch gerade gedacht, klappt Tim sein Handy
wieder zu. »Sie wird es ja gar nicht wissen«, stellt er dann fest und grinst
schief. »Wahrscheinlich hat sie in Wahrheit längst einen anderen netten Kerl
geheiratet.«
»Vielleicht sollten wir …« Auf einmal habe ich einen Kloß im Hals.
»Nein«, Tim schüttelt den Kopf, kniet sich wieder hin und drückt mir
die restlichen Elektroden auf die Haut. Auf einmal kriege ich wie aus dem
Nichts Panik.
»Warte mal! Ich weiß nicht, ist das ein Fehler, was wir hier machen?
Ich meine …« Die Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf, »ich meine … wir
müssen das doch eigentlich gar nicht, wir können doch auch so …« Ich suche nach
den richtigen Worten. »Will ich denn wirklich, daß alles wieder so ist wie
vorher? Die chaotische Charly, die sich danebenbenimmt und nichts auf die Reihe
kriegt? Ich weiß nicht, ich bin so durcheinander, ich …« Tim rückt ganz nah an
mich heran, nimmt meinen Kopf in seine Hände und gibt mir einen kurzen, sanften
Kuß.
»Charly Lichtenberg«, sagt er dann und verpaßt mir einen scherzhaften
Nasenstüber. »Oder von mir aus auch Maybach: Ich freue mich darauf, mit dir
wieder eine gemeinsame Geschichte zu haben. Und gemeinsame Erinnerungen.« Dann
geht er rüber zum Recorder und drückt die Play-Taste.
Ich schlage die Augen auf. Direkt vor mir sitzt Elisa und umfaßt
mein Kinn mit einer Hand. »Woher haben Sie die?« will sie wissen und deutet
dabei auf die Narbe unter meinem Kinn. Mein Gott, ich bin wieder am Anfang!
»Lassen Sie mich los«, schreie ich und stoße ihre Hand weg.
»Was ist denn …«
»Ich will nicht mehr«, unterbreche ich sie und reiße mir
gleichzeitig alle Metallplättchen ab, die auf meinem Körper kleben.
»So beruhigen Sie sich doch«, redet Elisa beschwichtigend auf mich
ein, »es ist ja noch gar nichts passiert. Was ist denn nur auf einmal in Sie
gefahren?«
»Nichts«, bringe ich hektisch hervor und springe aus dem schwarzen
Ledersessel auf. »Ich habe mir nur gerade überlegt, daß ich mein Leben im
großen und ganzen eigentlich doch ganz gut finde und es lieber so lassen würde,
wie es ist.«
»Aber Sie haben doch …« Elisa wirkt mehr als verstört.
»Ja, aber jetzt habe ich eben anders.« Obwohl ich am liebsten so
schnell wie möglich rausrennen würde, nehme ich mir trotzdem noch die Zeit, den
Overall auszuziehen und schnell in meine Klamotten zu springen, die ordentlich
über einem Stuhl hängen. Auf keinen Fall will ich das Risiko eingehen, daß sich
auch nur eine Klitzekleinigkeit in meinem Leben wieder ändert. Und wer weiß,
welche Abenteuer mir in meinem langen, schmalen Rock noch bevorstehen, die ich
sonst nie erleben würde? Eins habe ich mittlerweile begriffen: Man weiß nie,
welche Konsequenzen eine noch so kleine, bedeutungslose Episode haben kann.
Als ich wieder in voller Montur der noch immer fassungslosen Elisa
gegenüber stehe, reiche ich ihr versöhnlich lächelnd den Overall. »Nehmen Sie
es nicht persönlich«, sage ich. »Sie haben mir mehr geholfen, als Sie glauben.«
Dann greife ich meinen Rucksack und rausche aus der Tür. Draußen im Flur fällt
mein Blick in den großen Spiegel neben der Garderobe. Es hat geklappt! Ich sehe
wieder aus wie die alte Charly. Noch nie im Leben haben ich mich so sehr über
meinen properen Hintern gefreut!
Draußen auf der Straße fange ich an zu rennen. Ich renne und renne,
wobei mir mein Rock ständig im Weg ist. Ich raffe ihn ein Stück hoch, ein paar
vorüberfahrende Autos hupen, aber es ist mir egal, ob ich gerade eine komische
Figur abgebe. Ich laufe einfach weiter, vorbei an den Gerichten, dann links
Richtung Feldstraße, am Dom vorbei, durch die kleinen Straßen hinter der Reeperbahn,
weiter Richtung Bahnhof Altona, über den Ottensener Marktplatz und bleibe erst
stehen, als ich das Drinks & More erreiche. Es ist da. Kein Copy-Shop weit
und breit. Mit einem Ruck reiße ich die Tür auf und stehe eine Sekunde später
schwer atmend vor Tim.
»Na?« begrüßt er mich, als wäre nichts
Weitere Kostenlose Bücher