Was weiß der Richter von der Liebe
herzustellen: »Also, ich sage mal, was ich sehe. Ich sehe eine dunkel gekleidete Person, die sich von rechts nach links auf der Treppe bewegt«, und für Sekunden kann sie so die Betrachter zusammenschweißen, ehe überraschende neue Eindrücke ins Bild gejuckelt kommen: »Das ist der Krankenwagen!«, ruft der Verteidiger, den es nun auch gepackt hat, irgendwer murmelt »Polizei!« dazwischen, und salomonisch spricht das Gericht: »Ein Fahrzeug kommt.«
Soweit die Beweisaufnahme: Blutspritzer hier, Kratzer dort; ein Schupo, der sein Protokoll nicht unterschrieben hat und dafür vom dankbaren Rampenverteidiger in der Luft zerstückelt wird – »Ist das ein Tollhaus bei Ihnen, oder was!« – schließlich ein geistig regerer Kripo-Kollege, der Herrn Kibbel sogar folgen mag: »Die Version, die er mir erzählt hat, halte ich für einleuchtend.« Den Drehtritt vorbei am duckenden Kibbel, das Selbstabheben? »Ich trainiere seit langem Kampfsport«, sagt der Kripomann, »Das ist eine ganz typische Verletzung.« Herrn Kibbel nützt das nicht so viel. Das Gericht setzt noch zwei Termine an, Beweisfindung muss sein, und nach denen ereilt Herrn Kibbelseine Strafe: zwei Jahre auf Bewährung. Er kann also gehen. Der ferne Osten wird ihm wohl weiterhin ein Rätsel bleiben.
DAS GEHT NICHT GEGEN DICH
Er hatte ein Auge auf einsame Frauen. Mit dem Fahrrad kam er vorgefahren, stellte es ab; als wäre nichts, ging er in die Läden hinein, die Schlecker-Filialen von Spandau. Er stromerte umher, vom Katzenfutter zum Weichspüler und zurück, er müffelte ziemlich, und er hatte einen Karabinerhaken dabei. Den Karabinerhaken hält jetzt der Richter in Händen. Der Richter hat gute Laune, sehr zuvorkommend und freundlich hat er schon in seinen Gerichtssaal hereingebeten; er trägt eine weiße Fliege, und nur eine ganz kleine Stimmungswolke schwebt heute über ihm, die hat ihm der Gesetzgeber geschickt.
Es sei schon, sagt er, eine so etwas von verkorkste Vorschrift, die mit den gefährlichen Gegenständen, welche Paragraph 250 StGB sich wünscht, damit man auf schweren Raub erkennen kann. Denn was ist schon gefährlich? Mein Kugelschreiber, sagt der Richter, ganz klar, da würde jeder sagen: Der ist ungefährlich. Wenn ich jetzt aber meiner Kollegin hier die Brille runterreiße und ich steche ihn ihr ins Auge, dann ist das hochgefährlich! Die Kollegin lacht. Der Richter seufzt. Was ist gefährlich? Jenseits des Schlagrings hat die Rechtsprechung schon dicke Nüsse zu knacken gehabt: Wie steht es um Schnürsenkel, um Labello-Stifte? Um Schreckschusspistolen, von denen der Überfallene aber weiß, dass sie leer sind? Oder den eigens mitgeführten Schraubenzieher, welchen die Überfallene gar nicht bemerkt und von dem sie sich folglich auch nicht bedroht fühlt? Was ist, wenn dieSchleckermarkt-Kassiererin – so unscheinbar sie scheinen mag – eben doch eine tapfere Polizistentochter mit Kampfkursen im Lebenslauf ist, welche die zwei Finger im Rücken sofort als Finger erkennt – »Metall im Kreuz fühlt sich anders an« – was dann? Vieles ist unwägbar im Überfallwesen; Glück, Pech und Tagesform können einen Diebstahl vom Raub und vom schweren Raub scheiden – mit empfindlichen Folgen fürs Nachleben und die Haftzeiten in ihm.
Das weiß auch der Karabinerhakenräuber, er sagt: Die Vorwürfe seien alle schon teilweise zutreffend, aber: Niemanden habe er bedroht, niemals habe er eine Pistole angedeutet oder so! Und man will ihm sogar glauben für den Moment, mühlradgroße Augen, wie er macht; Geknicktheit, die ihm aus der Erscheinung spricht; langer Zopf, einundvierzig verpfuschte Jahre. Ach, und alles tut ihm so leid: Unter normalen Umständen wäre ihm so etwas nie passiert; doch seit der Trennung von seiner zweiten Frau und seit er ans Heroin geraten sei …
Der Karabinerhakenräuber hat einen Schwung Briefe geschrieben. Die sollten an die Zeuginnen gehen. Sind aber auf dem Amtswege irgendwo liegengeblieben. Der Richter, ehe er den wartenden Schleckermarkt-Kassiererinnen die Schreiben aushändigen lässt, liest vor: Aufrichtig wolle der Karabinerhakenräuber sich für sein schändliches Fehlverhalten vom soundsovielten dieses Jahres entschuldigen; drogenabhängig sei er gewesen und realitätsfern in seinem Denken und Handeln; heute aber sei es ihm durchaus bewusst, was das Geschehene für die jeweilige Schleckermarkt-Kassiererin, für ihn selbst und seine Familie bedeute;ihn werde diese Sünde sein Leben lang verfolgen;
Weitere Kostenlose Bücher