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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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Kundinnen wieder auftauchen ließ, durften diese zum Probieren behalten.
    Irgendwann verriet Bastian ihm wie nebenbei, dass die richtigen Nummern nicht frei erhältlich seien. Man müsse Mitglied einer Vereinigung werden, Bürgen stellen, Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben. Lambert lieh sich Geld und kaufte mit Bastians Hilfe einen ziemlich aufwendigen Effekt, einen Schwebetrick für die große Bühne. Bald schon kamen die Anfragen, auf die er so lange gewartet hatte. Die Arbeit im Laden behielt er bei, auch wenn Bastians anfänglicher Stolz auf seinen Angestellten einer unterschwelligen Ablehnung gewichen war. Auf Lamberts Ver s prechen, nur nach Ladenschluss aufzutreten, entgegnete er, es sei keine Frage von Zeit. Er missbillige einfach die Aufmerksamkeit, die dem Betrieb verloren gehe. Wenn Lambert Andrea betrügen würde, wäre die ja auch nicht eifersüchtig auf die Zeit, die er mit der anderen verbringe. Lambert hatte nichts zu entgegnen gewusst.
    Vom Honorar machte er weitere Anschaffungen, sodass sein Programm bald aus einer soliden Mischung von Illusion, Materialisierungen und Wahrsagekunst bestand. Jetzt noch eine zersägte Jungfrau, sagte er zu Andrea, dann haben wir ausgesorgt. Sie schnaubte bloß verächtlich.
    Es gab eine Geschichte von ihm, die in der Familie seit Jahrzehnten überliefert wurde. Als der kleine Lambert am Frühstückstisch nach der Marmelade verlangt, fragt ihn sein Vater: Wie heißt das Zauberwort? Für einen Moment sieht Lambert ihn fassungslos an und antwortet dann mit leiser Stimme: Abrakadabra .
    Lambert hatte die Anekdote nie gemocht. Vor allem, weil sein Vater sich nicht zu schade gewesen war, sie bei jeder auch nur halbwegs passenden Gelegenheit wieder zu erzählen, er wusste immer, wie lange er die Auflösung hinauszögern musste, um die größte Wirkung zu erzielen. Und auch wenn Lambert ihn dabei irgendwann nicht mehr ansah, wusste er, wie sein Vater während dieser Pause beifallheischend von einem Zuhörer zum anderen sah, im sicheren Bewusstsein des bevorstehenden Triumphs. Sein Vater meinte es nicht einmal böse, vielleicht war er sogar stolz auf den Einfallsreichtum seines Sohnes. Dabei wäre das nichts als ein Missverständnis gewesen.
    Beim Zaubern gab es den Moment, in dem der Trick bereits geklappt hatte, während das Publikum noch dachte, das Schwierigste stehe erst bevor. Dabei war das zerschnittene Seil längst wieder heil, das Kaninchen saß zusammengekauert im eben noch leeren Zylinder. Man musste nur hineingreifen und es hervorziehen.
    Es war klug, diesen Moment hinauszuzögern und einfach noch ein wenig zu reden, während man das zusammengeknüllte Seil, den Kartenstapel, den Zylinder unbeweglich vor sich hielt. Die Zuschauer hörten zu und lächelten. Sie dachten, man wolle sie ablenken, aber sie würden sich nicht überlisten lassen. Sie wussten, dass es jetzt darauf ankam, aufmerksam zu bleiben, damit ihnen die entscheidende falsche Bewegung nicht entging. Sie würden nicht zulassen, dass er sie täuschte.
    Dabei gab es diese falsche Bewegung nicht. Ungerührt hielt Lambert ihnen die Hand mit dem Seil oder dem Zylinder entgegen und redete noch ein wenig vor sich hin. Am Ende seiner kleinen Geschichte zeigte er einfach vor, was längst Tatsache war, und die S pannung schlug um in das ungläubige Entsetzen, das Bastian Biss in die Hand genannt hatte.
    Irgendwann hatte Lambert diese Situation weiter verlängern wollen, er hatte nach etwas gesucht, das er noch vortragen konnte, um die S pannung zu erhöhen, und war endlich bei der Familienanekdote gelandet. Sie kam so gut an, dass er sie seitdem bei jedem Auftritt erzählte.
    Den ganzen Weg hinüber zur Bühne überlegte er fieberhaft, was Zauberwort auf Englisch hieß.

11
    Nachher, als er mit den anderen zusammenstand, die ihm reihum auf die Schulter schlugen und »Glückwunsch!« riefen, um nicht sagen zu müssen, wie es ihnen gefallen hatte, war sie auf einmal wieder da. Sie stand vornübergebeugt und wühlte in ihrer riesigen Handtasche. Er entschuldigte sich bei den anderen und ging hinüber. In ihrem Haar hingen Reste von Stroh. Langsam richtete sie sich auf, strich sich eine Locke aus der Stirn und schaute ihn an. Es war das erste Mal, dass er sie lächeln sah.
    Â»Ich bin wohl zu s pät.«
    Â»Allerdings.«
    Â»Ist es vorbei?«
    Â»Was genau soll vorbei

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