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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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herumgelaufen waren.
    Ãœberhaupt die Menschen. Lambert fand heraus, dass in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gerade dieses kleine Organ den Ausschlag hatte geben sollen, ob der Mensch eine Sonderrolle im Tierreich einnahm oder nicht. All die Affen, denen man die Schädel zerschnitt, all die eingelegten, bleichen Gehirne und wie man auszurechnen versuchte, wie groß sie vor dem Konservieren gewesen sein mochten. All die zerstrittenen Konferenzen. Auf dem Höhepunkt der erhitzt geführten Debatte veröffentlichte ein S pötter das Gedicht eines Gorillas, der überzeugt war, schon deshalb über dem Menschen zu stehen, weil er auch mal schweigen könne. Nach dem Erscheinen von Huxleys Evidence as to Man’s Place in Nature war die Diskussion rasch abgeebbt, und auch Lambert wandte sich bald wieder anderen Fragen zu.
    In Erinnerung behielt er nur, dass sich in diesem kleinen, seepferdförmigen Lappen bei Verliebten eine Erinnerung bildete, für die es keine Grundlage gab. Der Eindruck, den anderen längst zu kennen.
    Alles Weitere vergaß er. Man konnte auch zu gut vorbereitet sein, wenn es einen traf.
    Lambert wurde bereits erwartet. Kaum dass er vor dem Centaur ausstieg und seine Tasche auf den Bürgersteig stellte, lief eine kleine Frau in schwarzem Trainingsanzug die paar Stufen herab auf ihn zu, streckte ihm mit einem verbissenen Lächeln die Hand entgegen und stellte sich als Kathy vor. Sie sei für ihn zuständig, ob er ihre Nachrichten nicht bekommen habe. Sie schulterte Lamberts Tasche und zog ihn am Arm mit sich, er solle sich von den Säulen nicht verstören lassen, dies sei früher die Montrealer Börse gewesen, im Übrigen habe die Show vor einer Stunde begonnen, gerade sei Pause, dann gehe es direkt mit ihm weiter, sie werde ihn am besten direkt zum Bühneneingang bringen oder, wenn er ver s preche, sich zu beeilen, vorher noch kurz in die Garderobe, wo sicherlich auch ein Glas Wasser bereitstehe, er habe ihnen schreckliche Umstände bereitet, ob er sonst noch etwas brauche?
    Sie hielt ihm die Schwingtür auf, was ihren Monolog zumindest für einen Moment unterbrach. Bevor er in das Gebäude trat, drehte Lambert sich noch einmal zurück, um der Fahrerin zu danken, aber sie hatte die Autotür bereits zugezogen, und der Wagen rollte langsam an. Die Rue du Saint Sacrement war eine schmale Gasse. Jetzt erst erkannte Lambert, dass der obere Teil des Anhängers hinten offen war. Zwei Pferde steckten ihre Köpfe heraus. Er hob die Hand, um dem Gefährt hinterherzuwinken. Die Pferde verzogen keine Miene.
    Quer über die Eingangshalle zog sich ein Transparent Welcome to the Close-up Conference. Überall standen Grüppchen zusammen, im kurzen Glühen der Wiedersehensfreude. Eine Stimmung wie beim Treffen der Druiden im Karnutenwald. Im Aufgang zum Saal erkannte Lambert ein paar Gesichter und grüßte in Eile. Er wäre gerne stehen geblieben, am allerliebsten hätte er sich kurz irgendwo hingesetzt, aber Kathy zog ihn unerbittlich mit.
    Hier und da hörte er seinen Namen, Hände wurden ihm auf die Schulter gelegt, jemand zwinkerte ihm zu. Wie jedes Jahr fiel es ihm leichter, sich an die Gesichter der Kollegen zu erinnern als an ihre Namen, bei den meisten fielen ihm nur die Tricks ein, die sie bei ihrer letzten Begegnung gezeigt hatten. Es war das erste Jahr, in dem ihr Treffen nicht in Europa stattfand. Und das erste, in dem er selbst auf die Bühne geladen war.
    Es war nicht so, dass sie gegeneinander antraten. Es gab keine Jury, sie standen in keinem offensichtlichen Wettbewerb. Aber natürlich wurde über die einen ge s prochen und über die anderen eben nicht. Und über manche wieder in einer Weise, dass man lieber nicht dabei gewesen wäre. Jeder hatte seine Viertelstunde, im Publikum saßen fast ausschließlich Kollegen, sie blieben gerne unter sich. Immerhin tauschte man sich aus und zeigte einander die neuesten Kunststücke. Dennoch brachte immer jemand Bekannte mit, schon damit sichergestellt war, dass es während der Vorführungen auch wirklich die kleinen, schrillen Schreie des Erstaunens zu hören gab, von denen sie heimlich lebten.
    Das Präparieren, die Handschuhe. Unerklärlich, warum immer noch Handschuhe verwendet wurden. Fürchteten sie, S puren zu hinterlassen? Der vergebliche Versuch, Ruhe zu bewahren. Lamberts Unbehagen vor den Auftritten, vor dem Moment des Hinaustretens,

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