Was wir Liebe nennen
Zauberer für Jungen ist?«
»Absolut. Wir haben uns beide einen Kindertraum erfüllt.«
»Nur dass du untreu geworden bist.«
Fe zog einen Schuh aus und rieb sich die nackte Ferse. »Diese flachen Absätze. Kaum zu sehen, schmerzen aber wie die hohen.« Sie sah ihn an, mit diesen Augen. »Das Studium hat noch S paà gemacht. Bei euch in Europa lernt man Veterinärmedizin nach Fächern, bei uns nach Tieren.«
»Wie bitte?«
»Wir nehmen uns eine Gattung und lernen alles, was dafür wichtig ist.«
»Und wir?«
»Ihr greift euch ein Fach und jagt es durch alle Arten. Gynäkologie der Wale. Gynäkologie der Reptilien.«
»Wie anregend.«
»Kann man so sehen. Man s pezialisiert sich halt anders. Am Ende habe ich nur noch Unpaarhufer studiert.«
»Sind das die Einzelgänger unter den Tieren?«
»Witzbold. Die haben eine ungerade Zahl von Zehen. Nashörner. Tapire. Pferde.«
Der Kellner brachte neuen Sake. Diesmal nahm sich auch Fe ein Glas. Allgemeine Begeisterung, Kathy schien sie umarmen zu wollen. Stanko, ein slowenischer Gedankenleser, begann vor Freude ein unsichtbares Orchester zu dirigieren. Gleich nach dem AnstoÃen beugte Fe sich wieder zu Lambert.
»Je länger man dabei ist, desto deutlicher erkennt man, dass die Tierärzte Handlanger sind. Sie töten ganze Herden.« Sie flüsterte jetzt. Ihre Stimme hatte einen scharfen Ton bekommen. »Die meisten verbringen ihre Tage damit, zu kontrollieren, ob das Fleisch gut genug ist, um vom Menschen gegessen zu werden.«
»Also hast du dich in die Vergangenheit geflüchtet.«
»Ich wollte wissen, wie alles gekommen ist. Schon verblüffend, was einmal möglich war. Eine Geschichte von Abschieden.«
»Die Sehnsucht nach dem Ur s prung.«
»Hast du die nicht?«
»Ach, ich mag Abwechslung. Was passiert mit deinen Pferden?«
»Das Leittier kriegt einen Funkchip unters Fell. Der meldet Ort, Herzfrequenz und Unterhauttemperatur. Warte, ich zeige es dir.«
Sie holte aus ihrer Handtasche ein Gerät hervor und schaltete es ein. Eine Kartenansicht baute sich auf, in der Mitte ein blinkender roter Punkt. Daneben waren zwei Zahlen eingeblendet: 20 und 0.
»Was da blinkt, ist mein Zuhause. Wundere dich nicht über die Messwerte, das ist noch nicht das Pferd. Der Chip liegt auf dem Küchentisch. Wie du siehst, hat die Tischplatte Zimmertemperatur und keinen Puls.«
»Wie beruhigend. Kein Grund zur Sorge.«
Lambert sah von dem Gerät auf. Er war froh, dass Fe hier saà und nicht zu Hause in ihrer Küche. Ãber ihre eigene Herzfrequenz konnte er nur Vermutungen anstellen. Erst recht über ihre Unterhauttemperatur.
»Und was machst du mit ihnen, wenn der Chip eingepflanzt ist?«
»Dann wildere ich sie aus.«
»Du â wie bitte?«
»Ich wildere sie aus.«
12
»Jetzt zu dir, Zauberer.«
Sie hatten aufgegessen und warteten darauf, dass jemand zum Abräumen kam.
»Was soll ich erzählen?« Lambert sah sich um. »Nimm den Teller hier. Er sagt: Dieser brave Mann stammt aus einem Kontinent, der gezeichnet ist von Krieg und Vertreibung. Wir essen unsere Teller leer. Du mit deinem kaum angenagten Hähnchenschenkel dagegen kommst offensichtlich aus einem Land, das in den fünf Jahrhunderten seines Bestehens noch niemals angegriffen worden ist.«
»Du scheinst dich ja auszukennen. Von welchem Land s prechen wir?« Fe hatte ihren Hähnchenschenkel wieder in die Hand genommen und fuchtelte damit herum. »Was mich an euch Europäern stört: Ihr geht immer von euch aus. Ab wann zählst du deine Jahrhunderte â seit Kolumbus? Hinter welchem Mond lebst du?« Sie biss in das Fleisch und s prach mit vollem Mund weiter. »Mein Land ist jünger, als ihr denkt. Den letzten Rest unserer Unabhängigkeit habe ich als Schulkind gefeiert.«
Lambert nahm seine Serviette und tupfte sich die Schläfen ab. Dann sagte er, um irgendetwas zu sagen: »Ihr mit eurem Jugendwahn.«
»Und ihr mit eurer Larmoyanz. Zum Thema Flucht haben wir mehr zu sagen als ihr, merk dir das. Ein Volk von Entkommenen. Frag, wen du willst, jeder Einzelne hat seine Geschichte.«
»Was ist deine?« Vielleicht ein Weg, um Ruhe in das Ge s präch zu bringen.
»Es gibt viele, wie bei allen. Unsere Herkunft ist nicht so geradlinig wie bei euch. Meine UrgroÃmutter kam aus Irland. Als sie
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