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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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leise Schnauben des Mannes neben ihr, mehr hatte es nicht gegeben. Wie seine Augäpfel rollten im Schlaf. Sie mochte, wie ungestüm er war, und wunderte sich zugleich, wie gut ihr das gefiel. Wie lange ging so etwas gut? Sie hatte ihn angesehen, sein nach allen Seiten abstehendes Haar, die weichen Wangen. So hatte sie dagelegen, den Kopf auf die Hände gestützt, während der Himmel langsam durchsichtig wurde. Ihr war eingefallen, dass sie sich fragen könnte, was sie hier tat. Aber bevor sie dazu kam, waren ihr die Augen wieder zugefallen.

    Jetzt aber war alles anders. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber es war hell, dazu der fremde, würzige Geruch. Es roch lecker. Er hatte ein Feuer gemacht, drüben am See, in den Schlafsack gewickelt, saß er davor, sein schwarzer Rücken unbeweglich vor den zuckenden Flammen, vor der von Hitze flirrenden Luft. Fe hob den Kopf, sie konnte die Stute sehen, die hinter einem umgestürzten Baumstamm stand und mit dem Kopf schlug, als wedelte sie Fliegen fort.
    Dann sah sie den Hengst.
    Zum Teil lag er am Boden, auf den Kieseln am Ufer, Brust und Schulter offen, blutüberströmt, der Hals überstreckt, die großen, schwarzen, leeren Augen weit geöffnet, mit gebleckten Zähnen.
    Zum kleineren Teil steckte er an einem Ast, den dieser Kerl in aller Ruhe über das Feuer hielt.
    Kurz schloss Fe die Augen, dann schlüpfte sie leise aus dem Schlafsack. Sie stopfte ihre Sachen zurück in die Tasche und schlich hinüber zur Stute.
    Przewalski-Pferde sind niedriger gewachsen als domestizierte Arten und besitzen ein zusätzliches Chromosomenpaar. Sie können, als Erbe ihrer nahezu unbeeinflussten Herkunftslinie, außerordentlich aggressiv werden, schon die Mähne fällt nicht zur Seite, sondern steht primitiv und rau in die Höhe. Während in der Zucht von Hau s pferden alle Anstrengung darauf zielte, die Elemente Wut und Ungestüm im Tier zu schwächen, ist das Wildpferd diesen Eigenschaften nach wie vor unmittelbar ausgesetzt.
    Haben sie einmal entschieden, dass jemand ihr Feind ist, sind sie kaum mehr zu halten. Was auch bedeutet: Ist es einem erst gelungen, sie gezielt in Rage zu bringen, bleibt kaum noch etwas zu tun. Fe packte leise ihre Sachen und saß auf. Dann ritt sie zum Feuer.
    Die Stute roch an ihrem Gefährten und dann an dem Mann. Die Tiere verstehen rasch, wer ihnen Böses will. Als er sich umsah, war es längst zu s pät. Er ließ sich zur Seite fallen und zog seinen Schlafsack über den Kopf, offenbar im Versuch, sich tot zu stellen. So schwach hatte Fe ihn noch nicht erlebt. Er dachte wohl, wenn er das Tier und seine Reiterin nicht provozierte, würden sie ihn in Ruhe lassen. Oder Fe hielte ihr Pferd zurück. Ein Irrtum, nicht nur, weil es nicht möglich gewesen wäre, das Tier zu stoppen.
    Przewalski-Pferde kämpfen nicht gerne, aber wenn es ihnen notwendig erscheint, entwickeln sie eine verblüffende Wirksamkeit. Sie legen die Ohren an, senken den Hals und umschleichen den Gegner mit entblößtem Gebiss. Fe wunderte sich, wie lange das dauerte. Fast schien es, als würde die Stute ihren Auftritt genießen. Oder sie zögerte, weil der Mann unter seinem Schlafsack keine Anstalten machte, sich zu wehren. Vielleicht war es auch einfach Teil des S piels.
    Die Tiere sind stämmig, die Hufe hart vom Leben in der Steppe, die kräftigen, muskulösen Beine erlauben harte Attacken mit den Vorderhufen, die die Pferde unmittelbar nach dem Auftreffen wieder zurückziehen, um erneut in Stellung zu gehen.
    Der eigentliche Kampf war eine rasche Abfolge von Tritten, Bissen und erneuten Tritten. Fe wurde so durchgeschüttelt, dass sie kaum begriff, was geschah. Der Schlafsack jedenfalls war, das ließ sich auch durch ihre halb zusammengekniffenen Augen kaum übersehen, nicht mehr zu gebrauchen.

40
    Wenn man lange genug darauf schaute, verwandelten sich die Hügel in schlafende Monster. Die Rückenpanzer waren aus Fels gefertigt, die Borsten aus Holz, die in allen Grüntönen glänzenden Schuppen hatte jemand in übermenschlicher Fleißarbeit aus lauter Blattwerk zusammengesetzt. Lambert malte sich aus, wie die Riesen allmählich zum Leben erwachten.
    Noch immer saß er am Ufer, Arme und Kopf auf die Knie gestützt. Wie wenig hier geschah, kein Vogel am Himmel, keine Wolke, kein Flugzeug. Hatte Gott für seine Schöpfung vorgesehen, hier so ereignislos

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