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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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nicht zu ihr zu dürfen. Aus den Augenwinkeln schaute er zum Idioten, der es sich unter einer Tischdecke gemütlich gemacht hatte und ebenso sehnsüchtig zu Fe hinüberstarrte. Als sie zurückkam, gab sie jedem von ihnen einen Kuss auf die Stirn und legte sich mit einem »Behaltet bloß eure Hände bei euch« zwischen sie.
    Lambert konnte nicht sagen, wie viel Zeit er damit zubrachte, mit dem Memorieren von Gedächtnistricks den Schlaf zu bezwingen, um dem Idioten keine Gelegenheit zu Intimitäten mit Fe zu geben. Wahrscheinlich ging es dem anderen ebenso. Vom offenen Fenster her strich ein kalter Luftzug über sie hinweg. War es wirklich erst eine Nacht her, dass Fe und er zusammen gewesen waren? War das noch immer dieselbe Fe, war er noch immer derselbe Lambert? Wenn er den Kopf zur Seite drehte, stieß er an Fes Schulter. Er konnte sie riechen und verging fast vor Verlangen. Warum hatte er in der Nacht zuvor nicht bemerkt, dass ihr Hals nach Brot roch? Wahrscheinlich war es einfach der Hunger, der ihm eingab, sie könne nach dem weichen Inneren von frisch gebackenem Weißbrot riechen, noch dampfend, wie eben mit den Händen auseinandergerissen. Lambert musste schlucken und hoffte, sie würde es nicht bemerken.
    Irgendwann endlich hörte er, wie hinter ihr der Atem des anderen regelmäßiger wurde und endlich in ein leises Schnarchen wechselte. Was für ein Trottel.
    Lambert öffnete die Augen.
    Fe lag im zarten Widerschein der Notausgangbeleuchtung und lächelte. Sie hatte sich mit ihrem Schlafsack zugedeckt, über den Rand des Kopfteils sah sie ihn an.
    Ihre Augen glommen schwarz wie ein Neumond, dessen Oberfläche neben dem Schimmer einer ersten Mondsichel kaum zu erkennen war, nur eine S pur leuchtender als die dahinterliegende Nacht.
    Lambert wollte etwas sagen, aber Fe legte ihm den Finger auf den Mund.
    Ihre Hände fanden sich von ganz allein, wie kleine, neugierige Tiere. Sie gaben sich Mühe, leise zu sein. Nur die falschen Gläser des Leuchters klirrten kaum hörbar im Wind.

35
    Andrea bekam die Nachricht am s päten Vormittag. Sie s pielte mit Beatrix Federball, an der Wiese am Fluss. Mitte April, zum ersten Mal lag in der Luft eine Ahnung von dem Glück, das der Sommer bringen würde. Die Sonne stand nicht hoch, aber vom Wasser her zog ein warmer Hauch über sie hinweg wie aus einer anderen Welt. Nach wenigen Ballwechseln hatte sich Andrea den Pullover über den Kopf gezogen und im Unterhemd weiterge s pielt.
    Es war nicht leicht, zwischen den Schlägen ein Ge s präch zu führen, aber sie war noch immer so verärgert über Lamberts Schweigen, dass sie Beatrix fast ununterbrochen ausmalte, was ihn erwartete, wenn er es jemals wagen sollte, wieder nach Hause zu kommen. Sie habe die halbe Nacht damit zugebracht, ihm Nachrichten zu schicken.
    Vor Kurzem musste eine Schafherde hier gewesen sein, am Stacheldraht des Zauns, der die Wiese zum Fluss hin begrenzte, flatterte ihre Wolle im Licht. Der Versuch, nicht in ihre Hinterlassenschaften zu treten, erhöhte den Schwierigkeitsgrad des S piels erheblich.
    Beatrix schwieg, bis sie schließlich, als Andrea vor Wut und Erschöpfung schon kaum einen Ball mehr erreichte, auf einmal sagte: »Es überrascht mich nicht.«
    Andrea sah den Federball kommen, er flog direkt auf sie zu. Es wäre leicht gewesen, einen Ausfallschritt zu machen und ihn mit dem Schläger zu erwischen, aber sie holte nicht aus und bewegte sich auch nicht von der Stelle, sodass der Federball am Ende mit einem trockenen Ploppen auf ihrem Brustkorb landete. Es tat nicht einmal weh. Ohne hinzuschauen griff sie mit der freien Hand danach, sie s pürte das feste Halbrund des Kopfes und den knautschigen, durchlöcherten Plastiktrichter, der die Flugbahn des Balls führen und begrenzen sollte.
    Â»Was hast du gesagt?«
    Lambert habe, sagte Beatrix, diese seltsame Eigenart, auf einmal in sich zu verschwinden. Sie habe ihn in letzter Zeit immer wieder so gesehen: Er lächele einem zu, sei aber schon gar nicht mehr richtig da. »Weißt du nicht, was ich meine?«
    Doch, das wusste sie.
    Als führte er tief in seinem Inneren ein anderes Leben. So jedenfalls kam es Andrea vor, wenn er ihr wieder einmal entglitt. Wenn sie unter anderen Menschen waren, auf einem Konzert oder einem Fest, immer häufiger aber auch mit ihr allein, am Frühstückstisch, bei ihren S paziergängen, beim Sex. Das

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