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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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saßen sie, dicht aneinandergedrängt gegen die Kälte, und warteten ab, dass die Erde sie zurückdrehte ins Licht.
    Â»Was machen wir morgen?«
    Fe hatte ihren Kopf auf die Schulter des Idioten gelegt, der sie ansah, als wollte er sie essen.
    Lambert sagte: »Andrea hat geantwortet. Sie drückt die Daumen, dass bald wieder etwas fliegt. Und wünscht mir Glück.«
    Â»Das wünsche ich mir auch«, sagte der Idiot.
    Fe hob den Kopf. »Was meint sie damit? Hast du gezaubert?«
    Â»So etwas in der Art.«
    Jetzt hob auch der Idiot den Kopf. Wie schwerfällig er immer wirkte. Von der Seite war sein Doppelkinn nicht zu übersehen. Sah Lambert im Profil auch so aus?
    Der Idiot sagte: »Heißt das, wir haben Zeit gewonnen?«
    Â»Wenn du so willst.«
    Â»Dann werden diese Dame und ich bei Tagesanbruch zu einer kleinen Tour aufbrechen. Wir nehmen die Pferde mit. Gib uns ein, zwei Tage.«
    Â»Und dann?«
    Â»Dann sehen wir weiter.«
    Â»Du redest dich raus.«
    Â»Und du kannst nichts dagegen tun.«
    Â»Fe, was sagst du dazu?«
    Sie zog nur die Schultern hoch und lächelte verschmitzt. Lambert dachte nach, ob ihm ein Ausweg blieb, aber wie sollte er sich selbst etwas abschlagen? Offenbar hatte er verloren.
    Bald kam die Dämmerung. Fe fand heraus, dass die beschilderte Langlaufloipe Volonté am Ufer entlangführte, der wollten sie folgen. Die beiden stiegen auf die Pferde, Fe warf Lambert eine Kusshand zu, was ihn auf eine bittere Weise freute. Dann warf auch der Idiot ihm eine Kusshand zu, worauf Lambert ihn am liebsten vom Pferd geholt hätte. Aber da waren die beiden schon hinter einer Böschung verschwunden, lachend.
    Lambert blieb am Ufer sitzen. Das Licht nahm zu, es kam jetzt von allen Seiten. Was für einen weiten Weg es hinter sich hatte, bevor es hier zu ihm ins Tal fiel. Nur um sich am Ende in diesen See zu stürzen. Und dann gelang ihm das nicht einmal, das Wasser warf es zurück, und das Licht verschwand wieder im All, ohne irgendeine S pur hinterlassen zu haben.
    Lambert zog seine Jacke an. Ohne die anderen war es wirklich kalt. Auf dem Wasser zeigte sich nicht eine einzige Welle. Es wäre gut gewesen, etwas zu essen zu haben.
    In der Ferne bellte kein Hund.

37
    In der Jackentasche fand er das Gerät wieder. Eine Zeit lang folgte er dem Weg des rot blinkenden Punktes, der dicht am Ufer den See umkreiste. Dann schaltete er es wieder ab. Sollten sie tun, wonach ihnen der Sinn stand.
    Ihm fiel ein, was er in der Nacht geträumt hatte.
    Wie er zu Hause die Wohnungstür aufschloss und alles wiedererkannte: das gewohnte Durcheinander aus Schuhen und Taschen, den Geruch ihres Zusammenlebens, die eng gehängten Bilder an der Wand – Reproduktionen alter Meister, russische Ikonen und Andreas eigene verwirrende Gemälde. Das Licht brannte. Er wollte ihren Namen rufen, Andrea!, aber es war zu still dafür in der Wohnung. Er fand sie im Bett, mit glasigen Augen sah sie ihn an, eine leere Packung Schlaftabletten neben sich, sie hatte den Mund noch voll davon. Im Traum war es verboten, die Hände zu benutzen. Ihm blieb keine andere Möglichkeit, als ihr die Tabletten einzeln von den Lippen zu küssen, eine nach der anderen. Und jede machte ihn, bevor er sie zur Seite aus s pucken konnte, selbst immer müder und müder, aber er durfte nicht nachlassen, er musste wach bleiben, bis sie gerettet war.
    Lambert stand auf, hüpfte ein wenig auf der Stelle und schlug sich die Arme um den Leib. Er lief ein paar Schritte am Ufer auf und ab und pflückte einige Gräser, aber sie schmeckten bitter und waren womöglich giftig. War das die Wildnis, von der alle immer s prachen?
    Vor einer Weile hatte Andrea tatsächlich eine Zeit gehabt, in der es ihr nicht gut ging. Kein Grauen, kein Unheil, aber auf einmal verlor sie das Zutrauen in die Ordnung der Welt. Weil es keinen äußeren Anlass gab, hatte Lambert der seltsamen Auflösung ohne Antwort zugesehen. Es erschreckte ihn, sie so zu erleben, hilfebedürftig und jähzornig zugleich, empfindlich, launisch, schwach. Damals hatte sie gerade einen heiligen Sebastian bearbeitet, für eine Kirchengemeinde aus dem Münsterland befreite sie das Bild von den S puren der Zeit. Eines Mittags rief sie Lambert aus der Werkstatt an. Vielleicht seien es die Lösungsmittel, vielleicht sei es diese immer gleiche Bewegung beim Säubern, vielleicht auch einfach das

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