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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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immer gleiche Bild, wenn sie ihn ansah: Mit zusammengekniffenen Augenbrauen sah er ins Leere, die Schultern hochgezogen, ganz leicht nur, aber es ließ ihn angestrengt aussehen. Es hatte sie traurig gemacht, ihn so zu sehen, weil sie wusste, dass sie ihn dort, wo er war, nicht erreichte. Ein großer Vogel, der brütend auf seinem Gelege saß, dem Treiben der Welt enthoben. Wenn sie ihn fragte, ob etwas mit ihm sei, erschrak er und schüttelte den Kopf, aber es sah nicht aus, als würde er ihre Frage verneinen, sondern als versuchte er sich von etwas zu befreien, einem Gedanken, einer Stimmung, einem Alb – sie wusste es ja nicht. Anfangs hatte Andrea geglaubt, er habe Geheimnisse vor ihr und fühle sich ertappt. Sie hatte versucht, ihm Brücken zu bauen, er könne ihr erzählen, wenn es da jemanden gebe. Sie sei kein eifersüchtiger Mensch. Wenn sie zusammen schliefen, hatte sie geflüstert, er dürfe ruhig an die andere denken. Aber er schien selbst nicht zu wissen, was mit ihm war.
    Sie hatte ihn gefragt, ob es die Sorge um seinen Vater sei, die lange, aussichtslose Krankheit und womöglich schon der Gedanke, nun der Nächste in der Reihe zu sein. Er hatte vor sich hin geschaut, und nach einer Weile hatte sie die Frage noch einmal wiederholt. Lambert hatte gelächelt, er habe sie durchaus gehört. Er kenne nur die Antwort nicht.
    Als Andrea verschwitzt zu ihrer Tasche ging, um etwas zu trinken, leuchtete im Dunkel ihres Durcheinanders das Telefon. Sie holte es heraus, wie so oft in den letzten Tagen. Diesmal hatte er sich tatsächlich gemeldet.
    Sie zeigte Beatrix die Nachricht und fragte, ob sie eine Ahnung habe, was damit gemeint sein könnte. Beatrix hatte es mittags im Radio gehört und zeigte mit dem Finger nach oben.
    Â»Fällt dir was auf?«
    Â»Nein.«
    Â»Was siehst du?«
    Â»Nichts.«
    Â»Nichts?«
    Â»Keine Wolken, keine Vögel, kein gar nichts. Nicht einmal ein Flugzeug.«
    Â»Eben.«
    Â»Sag schon. Was ist da?«
    Â»Asche. Nicht zu sehen, aber überall. Aus einem Vulkan. Sie haben den gesamten Luftverkehr unterbrochen.«

36
    Die Pferde standen bis zu den Knöcheln in den Sternen. Ab und an nahm eines von ihnen einen Schluck. Es war mitten in der Nacht, es war kalt, und es war dunkel. Der Hunger wurde jetzt deutlich. Das Knattern eines Hubschraubers hatte sie geweckt. Gerade als Lambert sich auf die andere Seite hatte drehen wollen, war der Idiot aufgestanden und hatte an ihnen gerüttelt, wozu er mit gepresster Stimme hervorstieß, sie müssten sofort verschwinden. Lambert verstand nicht, warum er flüsterte. Damit die Besatzung des Hubschraubers ihn nicht hörte? Wohl kaum.
    Sie hatten alles stehen und liegen gelassen und waren durch das zerbrochene Fenster hinaus in die Nacht geklettert. Geduckt war der Idiot zu den Pferden geschlichen und hatte sie losgebunden. Es war das erste Mal, dass er sich um die Tiere kümmerte.
    Der Hubschrauber hatte tatsächlich weit oben über dem Hotel gestanden, schwankend und klein, als würde er im nächsten Moment auf sie hinabstürzen. Lambert fiel die Lerche ein, die sie am Vorabend gesehen hatten. Fe war mit zu den Pferden gegangen, Lambert hatte sehen können, wie sie dem Idioten etwas ins Ohr sagte, wie sie lachten. Dann winkten sie ihn zu sich, es gehe los.
    Am Halfter hatten sie die Pferde durchs Unterholz geführt, über Stock und Stein bis hinunter an den See, wo sie sich in Sicherheit fühlten. Nach einer Weile war der Hubschrauber abgedreht, aber der Idiot machte weiter auf Drama und gab vor, noch immer ein schlechtes Gefühl zu haben. Er schlug vor, den Rest der Nacht hier unten zu bleiben, man könne nie wissen. Fe hatte die Pferde ans flache Wasser des Ufersaums geführt, wo sie unschlüssig standen. Von Zeit zu Zeit bückte eines von ihnen sich gemächlich hinab, tauchte seine Schnauze ins Wasser und erschütterte die S piegelung des nächtlichen Firmaments.
    Am Ufer gab es ein kleines Sandstück. Lambert breitete seine Busfahrerjacke aus und nahm Platz, nach einer Weile hockten sich die beiden anderen mit dazu, zu beiden Seiten von Fe.
    Wenn einem von ihnen der Magen knurrte, sagten die anderen »Pscht« oder »Einfach nicht dran denken«. Der Idiot meinte, draußen auf dem See einen Teller treiben zu sehen, und erkannte darauf sogar ein Steak. Nur mit Mühe konnte Fe ihn davon abhalten, hinauszuschwimmen.
    So

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