Washington Square
reiche Frau geheiratet hatte, brachte keine Änderung für den Weg, den er eingeschlagen hatte, und er pflegte seine Berufstätigkeit ebenso zielstrebig, als wenn er keine andern Geldmittel zur Verfügung gehabt hätte als seinen Anteil am bescheidenen väterlichen Erbe, das er sich beim Tode seines Vaters mit seinen Brüdern und Schwestern geteilt hatte. Sein Ziel war nicht vorwiegend gewesen, Geld zu verdienen, sondern vielmehr etwas zu lernen und eine Tätigkeit auszuüben. Etwas Interessantes zu lernen und etwas Nützliches |10| zu tun, das war, grob gesagt, der Plan, den er sich entworfen hatte und auf den der zufällige Umstand, daß seine Frau ein Einkommen hatte, keinerlei Einfluß ausübte. Er fand Freude an seiner Praxis und daran, eine Geschicklichkeit zu üben, derer er sich aufs angenehmste bewußt war. Es war offensichtlich, daß er gar nichts anderes als ein Arzt sein konnte, daß er durch und durch Arzt blieb und zwar unter den bestmöglichen Bedingungen. Natürlich ersparte ihm seine angenehme häusliche Situation eine Menge Plackerei, und die Zugehörigkeit seiner Frau zu den »oberen Zehntausend« brachte ihm eine ziemliche Anzahl solcher Patienten, deren Symptome, wenn auch nicht an sich interessanter als diejenigen niedrigerer Schichten, doch zumindest beständiger auftreten. Er strebte nach Erfahrung, und im Laufe von zwanzig Jahren wurde ihm eine Menge davon zuteil. Man muß hinzufügen, daß er sie in mancherlei Formen erhielt, die sie, was auch immer ihr wirklicher Wert gewesen sein mochte, nicht gerade willkommen machte. Sein erstes Kind, ein kleiner Knabe, der äußerst vielversprechend war, wie er, der nicht leicht in Begeisterung geriet, felsenfest glaubte, starb mit drei Jahren, trotz allem, was die Zärtlichkeit der Mutter und das Fachwissen des Vaters aufwandten, um ihn zu retten. Zwei Jahre später schenkte Mrs. Sloper einem zweiten Kind das Leben: einem Säugling, dessen Geschlecht das arme Kind, nach der Ansicht des Doktors, als keinen ebenbürtigen Ersatz für seinen beklagten Erstgeborenen erwies, aus dem er einen bewundernswerten Mann hatte machen wollen. Das kleine Mädchen war eine Enttäuschung; aber das war nicht das Schlimmste. Eine Woche nach seiner Geburt zeigte die junge Mutter, die, wie man so sagt, sich gut angelassen hatte, plötzlich alarmierende Symptome, |11| und noch ehe eine Woche verstrichen war, wurde Austin Sloper Witwer.
Für einen Mann, dessen Gewerbe es war, Menschen am Leben zu erhalten, hatte er sicherlich in seiner eigenen Familie nur Unzulängliches zuwege gebracht. Und ein angesehener Arzt, der innerhalb von drei Jahren seine Frau und seinen kleinen Sohn verliert, sollte vielleicht darauf gefaßt sein, entweder sein Können oder seine Liebe in Frage gestellt zu sehen. Unser Freund indes entging der Kritik, das heißt, er entging aller Kritik außer seiner eigenen, die die allersachkundigste und fürchterlichste war. Für den Rest seiner Tage ging er dahin unter der Last seines höchstpersönlichen Tadels und trug für immer die Narben einer Züchtigung, die ihm die stärkste Hand, die er kannte, in jener Nacht zugefügt hatte, die auf den Tod seiner Frau gefolgt war. Die Welt, die ihn, wie gesagt, zu schätzen wußte, hatte zuviel Mitleid mit ihm, um ironisch zu sein. Sein Mißgeschick machte ihn interessanter und verhalf ihm sogar, in Mode zu kommen. Man stellte fest, daß selbst Arztfamilien den heimtückischen Formen von Krankheiten nicht entgehen können und daß Dr. Sloper außer den zwei erwähnten Patienten schließlich auch noch andere verloren hatte, was einen ehrenhaften Präzedenzfall bildete. Sein kleines Mädchen blieb dem Doktor. Und wenn es auch nicht das war, was er sich gewünscht hatte, so beschloß er doch, das Beste aus ihm zu machen. Er hatte einen unverbrauchten Vorrat an Autorität zur Verfügung, von dem das Kind in seinen ersten Jahren reichlich abbekam. Es war – selbstverständlich – nach seiner armen Mutter genannt worden, und selbst im frühesten Säuglingsalter des Mädchens rief der Arzt es nie anders als Catherine. Es wuchs als sehr robustes und gesundes |12| Kind auf, und sein Vater sagte sich oft, wenn er es ansah, daß er, so wie es war, wenigstens nicht befürchten mußte, es zu verlieren. Ich sage »so wie es war«, da, um der Wahrheit die Ehre zu geben – doch das ist eine Wahrheit, auf die ich später zurückkommen möchte.
|13| 2. KAPITEL
Als das Kind etwa zehn Jahre alt war, lud Dr. Sloper seine Schwester,
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