Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
blinzle ihn an.
»Das da ist das Chapiteau«, sagt er, hält die Kerosinlampe hoch und
deutet mit einem krummen Finger auf die großen Leinwandballen. »Einer von den
Leinenwagen ist falsch auf die Schienen gefahren und jetzt vollkommen
zerdeppert, deshalb ist das Zeug hier. Hau dich einfach irgendwo hin und
schlaf. Wir sind erst in ein paar Stunden da. Sieh nur zu, dass du nicht zu
dicht an der Tür liegst. Manchmal fegen wir ganz schön durch die Kurven.«
Drei
Das langgezogene Kreischen der Bremsen reißt mich aus dem
Schlaf. Ich stecke ein gutes Stück tiefer zwischen den Leinwandballen als beim
Einschlafen und habe die Orientierung verloren. Es dauert einen Moment, bis ich
weiß, wo ich bin.
Der Zug kommt mit einem Ruck zum Stehen und lässt Dampf ab. Blackie,
Bill und Grady rappeln sich auf und springen wortlos aus der Tür. Als sie verschwunden
sind, humpelt Camel zu mir. Er beugt sich herunter und stößt mich an.
»Na los, Kleiner«, sagt er. »Du musst hier raus, bevor die
Zeltkolonne kommt. Ich versuch gleich mal, dich für heute früh bei Crazy Joe
unterzubringen.«
»Crazy Joe?«, frage ich, als ich mich hinsetze. Meine Schienbeine
jucken, und mein Hals tut höllisch weh.
»Der große Stallchef«, erklärt Camel. »Aber nur von den
Arbeitstieren. August lässt ihn nicht mal in die Nähe der Dressurpferde.
Eigentlich lässt ihn wohl eher Marlena nicht, aber ist ja egal. Dich wird sie
auch nicht in ihre Nähe lassen. Bei Crazy Joe hast du wenigstens ’ne Chance.
Wir hatten in letzter Zeit öfter schlechtes Wetter und matschige Plätze, und
’ne Menge von seinen Leuten sind abgehauen, weil sie keine Lust mehr auf diese
Drecksarbeit hatten. Jetzt sieht’s etwas eng aus bei ihm.«
»Warum heißt er Crazy Joe?«
»Weiß nicht genau«, sagt Camel. Er bohrt mit einem Finger im Ohr
herum und begutachtet, was er hervorgeholt hat. »Ich glaub, er war ’ne Weile im
Knast, aber ich weiß nicht, warum. Und frag ihn auch lieber nicht.« Er wischt
sich den Finger an der Hose ab und schlendert zur Tür.
»Na los, komm schon!«, sagt er mit einem Blick über die Schulter zu
mir. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!« Er setzt sich auf die Kante und
lässt sich vorsichtig auf den Schotter hinabgleiten.
Ich kratze mir ein letztes Mal verzweifelt die Schienbeine, binde
mir die Schuhe zu und folge ihm.
Wir haben neben einer weiten Grasfläche gehalten. Am anderen Ende
des Platzes stehen vereinzelte Backsteinbauten im Gegenlicht der nahenden
Morgendämmerung. Hunderte von schmutzigen, unrasierten Männern strömen aus dem
Zug, sie versammeln sich neben ihm wie Ameisen an einer Süßspeise, fluchen,
strecken sich und zünden Zigaretten an. Rampen werden polternd zu Boden
gelassen, und wie aus dem Nichts liegen plötzlich Waagscheite für sechs oder
acht Pferde auf dem Boden. Dann kommt ein Kaltblüter nach dem anderen, stämmige
Percherons mit gestutztem Schweif, die schnaubend und prustend in ihren
Zuggeschirren die Rampen herunterstampfen. Die Schwingtüren, die von den
Arbeitern aufgehalten werden, fassen die Rampen eng ein, damit die Tiere nicht
zu nah an den Rand geraten.
Einige Männer kommen mit gesenkten Köpfen auf uns zu.
»Morgen, Camel«, sagt ihr Anführer im Vorbeigehen, bevor er in den
Wagen steigt. Die anderen klettern hinter ihm hinein. Sie stellen sich rings um
einen Leinwandballen auf und wuchten ihn, keuchend vor Anstrengung, durch die
Tür. Er landet etwa einen halben Meter weiter in einer Staubwolke.
»Morgen, Will«, sagt Camel. »Sag mal, hast du für einen alten Mann
was zu rauchen?«
»Klar.« Der Mann richtet sich auf und klopft sein Hemd ab. Aus einer
Tasche fischt er eine verbogene Zigarette. »Ist ’ne Bull Durham«, sagt er,
beugt sich vor und streckt Camel die Zigarette entgegen. »Tut mir leid.«
»Selbstgedrehte sind genau mein Ding«, sagt Camel. »Klasse, Will.
Verbindlichsten Dank.«
Will deutet mit dem Daumen auf mich. »Wer ist das?«
»Ein Frischling. Er heißt Jacob Jankowski.«
Will betrachtet mich, dann dreht er sich weg und spuckt aus der Tür.
»Wie frisch?«, fragt er Camel.
»Taufrisch.«
»Hast du ihn schon untergebracht?«
»Nee.«
»Na, dann viel Glück.« Er zieht vor mir den Hut. »Du solltest nicht
zu feste schlafen, Kleiner, wenn du weißt, was ich meine.« Er verschwindet im
Inneren des Wagens.
»Was meint er damit?«, frage ich, aber Camel ist schon einige
Schritte entfernt. Ich trabe ein Stück, um ihn einzuholen.
Hunderte von Pferden
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