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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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laufen zwischen den schmutzigen Männern umher.
Auf den ersten Blick wirkt alles chaotisch, aber bis Camel seine Zigarette
angezündet hat, sind mehrere Dutzend Gespanne angeschirrt. Sie laufen an den
Flachwagen entlang und ziehen so die Karren auf die Rampen zu. Sobald die
Vorderräder eines Karrens die abschüssige Holzbahn berühren, springt der Mann,
der die Deichsel führt, zur Seite. Und daran tut er gut. Die schwer beladenen
Karren schießen die Rampen herunter und bleiben erst drei, vier Meter weiter
stehen.
    Die Morgensonne zeigt mir, was ich letzte Nacht nicht sehen konnte –
die Wagen sind scharlachrot angemalt, sie tragen Goldverzierungen und
Strahlenkränze auf den Rädern, und auf jedem prangt der Name BENZINIS SPEKTAKULÄRSTE SHOW DER WELT . Ist ein Karren
angespannt, stemmen sich die Percherons in ihre Geschirre und ziehen die
schwere Last über den Platz.
    »Vorsicht«, warnt Camel, nimmt meinen Arm und zieht mich zu sich.
Mit der anderen Hand hält er seinen Hut fest, die plumpe Zigarette zwischen den
Zähnen.
    Drei Reiter galoppieren an uns vorbei. Sie schwenken ab, reiten quer
über den Platz, umrunden ihn und kehren wieder um. Der Reiter an der Spitze
begutachtet zu beiden Seiten fachmännisch den Untergrund. Mit der einen Hand
hält er die Zügel fest, mit der anderen holt er mit Wimpeln versehene Pflöcke
aus einem Lederbeutel und schleudert sie in den Boden.
    »Was macht er da?«, frage ich.
    »Er steckt das Gelände ab«, antwortet Camel. Er bleibt vor einem
Pferdewagen stehen. »Joe! He, Joe!«
    Jemand streckt den Kopf durch die Tür.
    »Ich hab hier einen Frischling. Ganz neu eingetroffen. Kannst du was
mit ihm anfangen?«
    Der Angesprochene tritt vor auf die Rampe. Mit einer Hand, an der
drei Finger fehlen, schiebt er seine Hutkrempe hoch. Er mustert mich, schießt
einen Schwall dunkelbraunen Tabaksaft aus dem Mundwinkel und verschwindet
wieder im Wagen.
    Camel klopft mir gratulierend auf den Arm. »Du bist drin, Kleiner.«
    »Wirklich?«
    »Jawoll. Jetzt geh mal schön Scheiße schaufeln. Ich seh später nach
dir.«
    Der Pferdewagen ist unglaublich dreckig. Ich arbeite mit einem
Jungen namens Charlie zusammen, dessen Gesicht so glatt ist wie das eines
Mädchens. Er ist noch nicht einmal im Stimmbruch. Nachdem wir etwa eine
Kubiktonne Mist durch die Tür geschaufelt haben, mache ich eine Pause und sehe
mir den restlichen Dreck an. »Wie viele Pferde werden hier eigentlich
verladen?«
    »Siebenundzwanzig.«
    »Herrje. Dann sind sie ja so eingepfercht, dass sie sich nicht mehr
rühren können.«
    »Darum geht es ja«, sagt Charlie. »Sobald das Keilpferd geladen ist,
kann keines mehr umfallen.«
    Plötzlich ergeben die Pferdehintern von letzter Nacht einen Sinn.
    Joe taucht in der Tür auf. »Die Fahne weht.«
    Charlie lässt die Schaufel fallen und geht zur Tür.
    »Was ist los? Wo willst du hin?«, frage ich.
    »Die Fahne am Küchenbau ist oben.«
    Ich schüttle den Kopf. »Tut mir leid, ich versteh’s immer noch
nicht.«
    »Futter«, sagt er.
    Das verstehe ich allerdings. Ich lasse
ebenfalls die Schaufel fallen.
    Zelte sind wie Pilze aus dem Boden geschossen, das größte – offenbar
das Hauptzelt – liegt allerdings noch platt auf dem Boden. Über seine Kanten
stehen Männer gebeugt, um die einzelnen Teile miteinander zu verschnüren.
Entlang der Mittelachse ragen Holzmasten empor, auf denen schon das
Sternenbanner weht. Durch ihre Takelung sehen sie aus wie die Masten auf einem
Schiffsdeck.
    Auf dem ganzen Gelände rammen achtköpfige Mannschaften in
halsbrecherischer Geschwindigkeit Pflöcke in den Boden. Wenn ein Hammer auf den
Pflock trifft, sind fünf andere im Schwung. Ihr gleichmäßiges Hämmern klingt
wie Maschinengewehrfeuer, das den restlichen Lärm übertönt.
    Andere Mannschaften richten riesige Masten auf. Charlie und ich
kommen an einem Trupp von zehn Männern vorbei, die mit aller Kraft an einem
Seil ziehen, während ein Arbeiter von der Seite skandiert: »Ziehen, rütteln,
halten! Und wieder – ziehen, rütteln, halten! Und jetzt festschlagen!«
    Den Küchenbau könnte man nicht einmal verfehlen, wenn man es wollte
– auch ohne die orangeblaue Fahne, den blubbernden Kessel im Hintergrund oder
die Leute, die darauf zuströmen. Der Geruch von Essen trifft meinen Bauch wie
eine Kanonenkugel. Ich habe seit vorgestern nichts mehr gegessen, und mir dreht
sich vor Hunger der Magen um.
    Die Seitenwände des Küchenbaus sind hochgebunden, damit die Luft
durchziehen kann,

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