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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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tiefroten Flüssigkeit versenkt. Ein satter Seufzer erfüllt den Gewölbekeller, prallt von der aus roten Klinkern gemauerten Decke ab, fängt sich am Halbstückfaß, auf das der Mann sich mit dem rechten Ellenbogen stützt, fliegt eine endlos scheinende Reihe von Fässern entlang zu einer Nische an der Schmalseite des Gewölbes, in der in einem vielarmigen Leuchter weiße Kerzen flackern, und fällt schließlich erschöpft auf den feuchten Kellerboden. Der Mann hat die Nase aus dem Glas gehoben, hält es ans Licht der Kerze, die in einem Hügel aus Wachs auf dem Faß steckt, läßt den Inhalt kreisen. Setzt dann das Glas an, mit geschlossenen Augen, nimmt den ersten Schluck und schickt dem Seufzer ein lautes Schlürfen hinterher.
    Der Mann steht am dritten Faß rechts in der langen Reihe von Fässern aus dunklem, aschefarbenen Holz; die Fässer links an der Gewölbewand haben eine hellere, noch goldene Tönung. Nebenan, im Nachbargewölbe, in das man über die Fässer hinweg hineinschauen kann, stehen weitere Reihen von Holzfässern.
    Der Mann läßt den Schluck Wein in der Mundhöhle von einer Seite auf die andere wandern, kaut, schmatzt mit gespitzten Lippen und richtet beseligt die Augen nach oben, bevor er die Flüssigkeit die Kehle hinunterrinnen läßt. Dann schmatzt er noch einmal und federt auf den Zehenspitzen nach, bevor er das Glas wieder ansetzt.
    Jetzt faßt seine linke Hand in die Außentasche des Sakkos, kommt wieder heraus und hält einen handlichen silbernen Gegenstand. Der Mann legt den Kopf in den Nacken und schaut zur Decke. Dann hält er sich den silbernen Gegenstand vor den Mund und sagt mit andächtiger Stimme »Spätburgunder Goldkapsel 1997« hinein, »Faßprobe bei Müller-Dernau im November«. Er läßt den Rest des Weines im Glas kreisen, das er zwischen Daumen und Zeigefinger am Fuß festhält, hebt es wieder in Augenhöhe und murmelt: »Farbe: sattrubin. Geruch«, fügt er nach einer Pause hinzu: »Röstaromen; Haselnuß.« Er steckt seine Nase ein weiteres Mal ins Glas: »Schokolade, Waldbeeren.«
    Filmriß. Und dann eine neue Szene: gleicher Ort, gleiche Person. Das Licht in dem großen Keller ist jetzt merklich dunkler geworden, man sieht nur noch verschwommen, was passiert. Der Mann mit der Glatze geht langsam, den Rücken an ein Faß gelehnt, in die Knie, in der rechten Hand noch immer ein halbgefülltes Rotweinglas. Trinkt. Und trinkt. Und schließlich sitzt er vor dem Faß auf dem Hosenboden. In etwas, das wie eine Pfütze aussieht. Wie eine dunkelrote Pfütze. Wieder hat er das kleine silberne Ding in der Linken, diesmal lallt er hinein: »Susi.« Und noch einmal: »Susi.«
    August M. Panitz knipste die Nachttischlampe an, setzte sich auf und hielt sich mit spitzen Fingern die schweißgetränkte Jacke des seidenen Pyjamas vom Leibe. Er träumte diesen Traum immer wieder – er wuchs sich langsam zum Albtraum aus. Ohne Zweifel: Die Sache war rätselhaft. Doch wenn er ehrlich war: Das größte Rätsel dabei war er sich selbst.
    Er mußte zuviel getrunken haben, damals, bei der Faßprobe im Weinkeller von Müller-Dernau. Aber warum? Panitz kratzte sich die Brust unter dem nassen Pyjama. Normalerweise trank er bei Weinproben keinen Wein. Für das Urteil eines Fachmannes reichte es völlig aus, den Wein im Mund gehabt zu haben. Man muß nicht schlucken, was die Geruchsrezeptoren in der Nase und die Geschmacksknospen in der Mundhöhle geprüft haben.
    Er verzog das Gesicht. Damals hatte er aus irgendeinem Grund nicht nur riechen und kauen und analysieren und ausspucken wollen, sondern trinken. Trinken. Trinken. Er schielte mit zusammengekniffenen Augen nach seinem Wecker und stellte fest, daß es noch viel zu früh zum Aufstehen war. Er würde trotzdem nicht wieder einschlafen können. Der Traum verfolgte ihn. Dabei war die ganze Sache ein gutes halbes Jahr her.
    Er hatte sein Diktiergerät mehrmals abgehört. Erst seine Notizen, völlig korrekt abgegeben. Danach Funkstille. Und dann das gelallte »Susi«. In merklich weggetretenem Zustand gesprochen. August M. Panitz, besoffen auf dem Boden sitzend und an »Susi« denkend – er ließ sich wieder ins Bett zurücksinken. Lächerlich. Peinlich! So kannte er sich nicht.
    Susanne hieß sie in Wirklichkeit, die kleine Blondine mit den schönen Rundungen an der richtigen Stelle. Na ja – an den Waden hätte es ruhig ein bißchen weniger sein dürfen. Er hatte sie bei der Geburtstagsparty von Walter Prior getroffen, der zur Feier des Tages

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