Wasser
Depression in Amerika angesichts des Staudammbaus verbreitete, gut nachvollziehen. Nicht von ungefähr wurde er zum Symbol der »New Deal«-Politik Franklin D. Roosevelts. Tausende Kilometer neuer Kanäle wurden gegraben. Städte wie Los Angeles – dessen Kampf um das Wasser aus dem Owens Valley durch Roman Polanskis Film »Chinatown« von 1974 weltbekannt wurde –, Phoenix, Las Vegas und San Diego konnten zu Metropolen heranwachsen, und das südliche Kalifornien avancierte zur führenden Landwirtschaftsregion. Wie durch ein Wunder ermöglichte der Damm die Verwirklichung des von der Mormonen-Bibel inspirierten Traums in ganz neuen Ausmaßen.
Mittlerweile sind das Potenzial des Colorado und des Damms sowohl umgesetzt als auch aufgebraucht. Der Fluss bewässert Dattelpalmen in Kalifornien und Rebstöcke in New Mexico, ist zum Dorado der Rafter in Arizona und zu einer Naturschönheit in Nevada geworden und wird in den Bars und Kasinos von Las Vegas als Eiswürfel konsumiert. Alle wollen immer mehr Wasser haben. Besonders die Städte im Süden strecken die Arme zunehmend nach dem Colorado aus, doch viel mehr als bisher ist ihm nicht abzuringen. Gleichwohl muss er immer drängender werdende Ansprüche erfüllen, weil der Bedarf steigt.
Der Colorado-River-Aquädukt, der durch Arizona und zu den Städten in Südkalifornien führt, wirkt wie ein Fluss. Über mehrerehundert Kilometer zieht er sich durch die Wüste. Als technologisches Bauwerk steht dieser »Fluss« nicht für Romantik und Individualismus, sondern für »Big Business« und »Big Government«. Mitten in der Wüste höre ich erfrischende Geräusche fließenden Wassers, das indes nicht wie ein Gebirgsbach spielerisch die Felsen hinunterströmt, sondern kilometerweit durch einen kontrollierten, von Mauern begrenzten Schacht geführt wird, um schließlich Los Angeles und das südliche Kalifornien mit Wasser zu versorgen. In weiten Teilen Kaliforniens regnet es zwischen Mai und Oktober, wenn der Wasserbedarf am höchsten ist, so gut wie gar nicht.
»Ich möchte auf dem Wasser gehen«, erkläre ich einem erstaunten Bauern. Er versteht nicht sofort, was ich meine. Sehe ich vielleicht aus wie der leibhaftige Christus? Ich befinde mich im kalifornischen Bakersfield. Hier haben Bauern und große landwirtschaftlich-industrielle Gesellschaften Wasservorräte unter der Erde angelegt. In geologischen Hohlräumen lagern sie überschüssiges Wasser, um es nach Bedarf und zu möglichst hohen Preisen an Städte in der Nähe verkaufen zu können.
»Die Wasserkrise«, setze ich an zu erklären – doch der Bauer hat begriffen, was ich meine, und unterbricht mich sofort. »Kommen Sie mit.« Er führt mich zu einem großen Feld, das wie jeder andere Acker aussieht, doch unter ihm verbirgt sich ein künstlich angelegtes Wasserreservoir.
Zwei Drittel der amerikanischen Bundesstaaten befürchten ernsthaften Wassermangel in den kommenden Jahrzehnten. Die Wasserkrise bedroht insbesondere den Südwesten, in dem Wirtschaft und Bevölkerung am stärksten wachsen. Städte und landwirtschaftlich geprägte Gebiete streiten sich um Wasser. Kalifornische Bauern sind inzwischen gezwungen zu akzeptieren, dass ihnen Wasser abgenommen und in wasserdurstige Städte umgeleitet wird. Die Bundesstaaten kämpfen um das Wasser, und in Kalifornien und anderen Teilen der westlichen USA haben die Behörden bereits Alarm geschlagen. 68 Und im Ölstaat Texas sagte der frühereUS-Präsident und ehemalige Geschäftsmann der Ölbranche, George W. Bush, dass Wasser wichtiger sei als Öl. Die Kapazität der Flüsse ist aufgebraucht, und die Grundwasservorräte werden schneller heraufgepumpt, als sie sich naturgemäß wieder auffüllen. Berechnungen zufolge verliert die amerikanische Landwirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch den Wassermangel jährlich 400 Milliarden Dollar.
Seit den Tagen des Goldrauschs im 19. Jahrhundert, als an den Ufern der Flüsse, aus denen sich Gold waschen ließ, Städte gegründet wurden, hat das zunehmend kontrollierte Wasser sowohl Besiedlungsstrukturen als auch Landschaften verändert. Kalifornien ist als gesellschaftliches Konstrukt nicht viel älter als einhundert Jahre. In dieser kurzen Zeit hat es seine Wasserlandschaft radikal umorganisiert, ohne eine beständige und nachhaltige Lösung der »hydraulischen Klemme« finden zu können. Die Bevölkerung soll im Laufe der nächsten 25 Jahre von 37 auf 48 Millionen Menschen anwachsen. Immer häufiger berichten
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