Wasser
Boot gehört man einer der ersten Gruppen eines fahrenden Volkes an, die sich frei und unabhängig von Wasserquellen oder mitgenommenen Wasserbehältern bewegen können. Die Mannschaften auf den modernen Hochseeseglern stechen ohne Wassertanks in See und steuern auf eine Zukunft zu, in der ein Vorrat an natürlichem und zugänglichem Trinkwasser nicht mehr die menschliche Mobilität und Aktivität beschränken muss.
Ein künstliches Niltal in der Sahara
Ich fahre auf dem Nil stromaufwärts, von der pulsierenden Metropole Kairo mit ihren fast 20 Millionen Einwohnern zu einem der heißesten Orte der Welt, um mir anzusehen, was das ägyptische Wasserbauministerium dort »als Wendepunkt in der Geschichte Ägyptens« plant. Zunächst kommen wir nach Assuan in Oberägypten, eine hübsche, auf der Ostseite des Nil gelegene Stadt mit langen Uferpromenaden, auf denen Liebespaare auf grünen Bänken sitzen, sich leise unterhalten und über den ruhigen Fluss blicken. Feluken, die traditionellen Segelschiffe, gleiten lautlos über den Fluss, wie sie es schon immer getan haben, und heben sich mit ihren weißen Segeln deutlich von den sandigen Höhenzügen ab, die am Ostufer steil aufragen. Nach der obligatorischen Tasse Tee im nahen Militärlager klettern wir an Bord eines alten russischen Militärhubschraubers, der – mit geöffneter Tür – uns und die vierköpfige Mannschaft über dem Nil zum Assuan-Stausee und zu dem neuen Projekt in der Wüste fliegt. Eingehüllt in den Lärm von Motor, Wind und Propeller, lasse ich den Blick über den mächtigen Bogen des Staudamms gleiten, der einen etwa 500 Kilometer langen, künstlichen See entstehen lässt. Nachdem ich mich jahrzehntelang mit der Geschichte des Nil beschäftigt und unzählige alte Bücher und Archivmappen über die Hydrologie des Flusses und den Kampf um seine Beherrschung gelesen habe, ist dieser Anblick ein Höhepunkt.
Der Assuan-Staudamm – oder Nassersee, wie er nach dem ehemaligen ägyptischen Präsidenten auch genannt wird – änderte zahlreiche Prämissen für die Entwicklung des Landes und war enorm folgenreich für den gesamten Mittleren Osten, für den Niedergang des europäischen Kolonialsystems und die Entwicklung am Horn von Afrika. In Ägypten ist es seitdem nicht mehr wichtig, wann die Nilschwemme einsetzt, sondern nur noch, wie viel Wasser der Fluss führt.
Der erste, vor circa 5000 Jahren entwickelte Kalender der Ägypter sollte der Bevölkerung vor allem vorhersagen, wann die Nilschwemme zu erwarten war, und löste mit seinem 365-Tage-System den bis dahin gebräuchlichen Mondkalender ab. Die Ägypter hatten herausgefunden, dass Sirius, der Hundsstern, einige Tage vor Beginn der Nilschwemme bei Sonnenaufgang sichtbar wurde. Zwar verlor das Land damit einen historischen Feiertag – denn der Tag, an dem der Nil genügend Wasser führte, um die Kanäle zu öffnen und das Wasser in die trockenen Ebenen zu leiten, war jahrtausendelang gefeiert worden. Doch dafür wurde das Land von der despotischen Macht befreit, die mit den saisonbedingten und jährlichen Schwankungen des Wasserstandes im Nil verbunden war.
Durch den Bau des Staudamms erhielt Ägypten elektrischen Strom und konnte weitere hunderttausende Quadratmeter Land bewirtschaften. Darüber hinaus symbolisiert der Damm den ewigen Dualismus des Wassers: Einerseits konnte durch die Stauung des Wassers verhindert werden, dass die Felder von nicht vorhersehbaren Schlammmassen überschwemmt wurden, den der Fluss seit tausenden Jahren von den äthiopischen Hochebenen heruntergespült hatte. Andererseits fehlte der düngende Schlamm und blieb dieser nun auf dem Grund des künstlichen Sees liegen, was den Damm früher oder später zerstören wird, wenn es nicht gelingt, ihn mit moderner Technik – die noch erfunden werden muss – zu entfernen: ein Sisyphos-Projekt der fernen Zukunft. Ich fahre zunächst weiter, um mir ein Vorhaben der näher liegenden Zeit anzusehen, welches das heutige Aussehen der Sahara verändern wird: das Toshka-Projekt.
Der Nil soll ein neues, bewirtschaftetes Tal schaffen. Die Regierung ist der Ansicht, dass Ägypten den natürlichen Lauf des Flusses durchbrechen müsse, wenn es langfristig den Bevölkerungszuwachs verkraften wolle. Wir verlassen deshalb die Ufer des Stroms und fliegen mit dem Helikopter in die Wüste hinaus. Unter uns erstreckt sich die goldene Sahara endlos in alle Richtungen. Die Hitze lässt undeutliche Konturen und Spiegelungen entstehen. Siewerden
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