Wasser
Verhandlungstischen der Wasserbaukommission statt. Denn in Las Vegas, dem Sinnbild für Show und Illusion, muss die Vorstellung aufrecht erhalten werden, dass die Stadt Wasser im Übermaß zur Verfügung hat.
Tatsächlich jedoch sitzt Las Vegas in einer Wasserklemme. Der Wasserverbrauch pro Einwohner gehört zu den höchsten weltweit, und das, obwohl die Stadt auf Sand gebaut und von Wüste umgeben ist. Sie liegt in einem der trockensten Gebiete des zu den niederschlagsärmsten US-Staaten gehörenden Nevada. Wie andere Regionen der USA ist Las Vegas vom Colorado River abhängig, der aber nicht mehr hergeben kann als das, was Nevada schon bekommt. Das Grundwasser in Las Vegas wird schneller heraufgepumpt, als es nachfließen kann. Die dreifache Menge dessen, was die Natur selbst wieder auffüllt, wird jedes Jahr abgezapft. Las Vegas überstrapaziert sein aquatisches Kapital, und die natürliche Wasserbank wird unbarmherzig geleert. Mittlerweile kann die Stadt Wasser aus anderen Reservoiren oder Quellen importieren; Wasserbauingenieure haben für mehrere Millionen Dollar einen Tunnel gebaut, der Wasser aus dem künstlich angelegten Lake Mead heranführt. Darüber hinaus streben die Behörden neue Verhandlungen an und versuchen, mehr Wasser aus dem Colorado zu bekommen, als bisher vertraglich festgelegt ist. Der Kampf um das Wasser wird sich aller Voraussicht nach mindestens genauso turbulent gestalten, wie die Stadt selbst es ist.
Las Vegas wird als Hauptstadt des Laisser-faire-Kapitalismus gefeiert. Aber kann das wirklich so weitergehen? Und wenn ja,wie lange? Der Wasserverbrauch muss sinken. Doch für wen? Das ist die große Streitfrage, die die ganze Region im Laufe der nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird. Immer mehr Unternehmen und Einwohner siedeln sich in Las Vegas an; kaum eine Stadt der USA wächst schneller. Ohne staatliche Regulierungen und Zwangsmaßnahmen bleibt zweifelhaft, ob die Wasserkrise gelöst werden kann. Doch fraglich ist ebenso, ob eine länger anhaltende Knappheit dieser für die Hotels, die Gärten der Einwohner und die gesamte Wirtschaft im Las-Vegas-Tal so unverzichtbaren Ressource tatsächlich ein energischeres öffentliches Eingreifen auf Kosten des freien Marktes und der liberalen Institutionen zur Folge haben wird.
Die Pioniere der modernen, künstlich bewässerten Landwirtschaft im Westen der USA sind die Mormonen. Für sie ging es in erster Linie um eine Verwirklichung der Prophezeiung Jesajas (Jesaja 35, 1–10): Wenn Jesus auf die Erde zurückkehrt, wird die Steppe »jauchzen […] und aufblühen wie eine Narzisse. […] Denn in der Wüste bricht Wasser hervor und Bäche in der Steppe«. Beseelt von der biblischen Beschreibung über die Göttlichkeit des Wassers, standen die Mormonen im 19. Jahrhundert an der Spitze einer sozialen Bewegung, die die amerikanischen Prärien und Wüsten in die Kornkammer der Welt verwandeln wollte. Brigham Young, zweiter Präsident und Prophet der Kirche der Heiligen der Letzten Tage, entwickelte ein ideologisch-religiöses Projekt mit enormen praktischen Konsequenzen, und kaum einem anderen gelang es wie ihm, Ideologie in Handlung umzusetzen. Er lebte polygam, hatte 27 Frauen und 56 Kinder, konnte seine »Fruchtbarkeit« allerdings auch auf die Wüste übertragen. Zwar wurde der Idealstaat nicht errichtet, doch die Mormonen gründeten ab 1850 mehrere Städte. Salt Lake City – oder »Das Neue Jerusalem«, gelegen an einem Fluss, der nach dem Vorbild der Bibel in »Jordan« umgetauft wurde – avancierte zur Welthauptstadt der Heiligen der Letzten Tage. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstreckten sich mormonische Siedlungen über ein Sechstel des nordamerikanischen Kontinents, zu ihnen gehörten 500 exakt geplante Städte.
Der in den Colorado River gebaute Hoover-Damm, zur Zeit seiner Errichtung in den 1930er Jahren der größte Staudamm der Welt, ist vielleicht das deutlichste Symbol dafür, dass der Staat mit dem »Bureau of Reclamation« (Büro für Landgewinnung) übernahm, was die Mormonen begonnen hatten – allerdings in einer ganz anderen ökonomischen und technologischen Größenordnung. Der Staudamm und die mit ihm verbundenen Wassernutzungspläne wurden als Modell für umfassendes und ganzheitliches Wassermanagement schon bald überall in der Welt kopiert. Als ich am Rande des Staudamms stehe und in den von nackten roten, wilden Felsen umgebenen dunkelblauen Fluss blicke, kann ich den Optimismus, der sich während der Großen
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