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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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drehte und davonflog. Sieben Tage hatte er das Tier gefüttert und gepflegt, er hatte es Pedder getauft, erlebte mit Freude, wie der Vogel bald hinter ihm herwatschelte und in sein Hosenbein biß; nach manchen Fütterungen bekam er knarrenden Dank zu hören. Die Verletzungen, die Pedder sich zugezogen hatte, als er eines Nachts – wohl auf der Flucht – gegen das dickwandige Glas der Leuchtsektion geprallt war, schienen gut verheilt zu sein; der alte Wärter war sicher, daß der Vogel es bis zur Küste schaffen würde. Er stand auf der Plattform, es blies auf; er sah den Lichtarmen nach, die den Schiffen heimleuchteten, plötzlich hörte er einen schwachen Aufprall hoch über sich und wurde gleich darauf von einem fallenden Vogelbalg gestreift,der trudelte und am Fuß des Leuchtturms in die See klatschte. Besorgt richtete er den Schein der Handlampe in das Schäumen tief unter sich, ließ das Licht über die wehende Gischt fahren, und für einen Augenblick glaubte er den Balg des Vogels erkannt zu haben, der von einer Welle gegen den Sockel geworfen wurde. Es gab keinen Zweifel für ihn, daß es ein Tölpel war.
    Vielleicht hebst du wirklich auf, was von einem Pedder übriggeblieben ist, läßt dir von ihm bezeugen, daß das Meer seine kleinere Beute herausgibt; dennoch bleibt es ein Raffer. Ruhig widerlegt es das größte Geschick, alle Fertigkeiten, und selbst den wehrhaftesten Bewohnern beweist es ihre Unterlegenheit. In einer Sandmulde, gebacken von der Sonne, liegt still, was sich einmal selbstbewußt und gepanzert zeigte und mit geöffneten Scheren Furcht einflößte. Urtümlich wirken noch die Reste der Krabben. Ihre Panzer tragen den Befall vergangener Epochen und die Kratzer durchstandener Kämpfe, hier fehlt ein krummes, horniges Bein, dort ein Stück des Greifers. Mit leisem Knacken bricht alles auseinander – die Keilschrift des Zerfalls. Die nächste Flut wird es sich holen, und feine Sände werden den Kalk zerreiben. Waren es nicht seitwärts gehende Krabben, die einst Sartres Angstträume bevölkerten? Und hat man ihnen nicht, so im allgemeinen, die größte Garantie fürs Überdauern gegeben? Ihr Alter ist ihnen eingeschrieben – in die geborstene Form.
    Immer wieder muß ich beim Weitergehen den Blick heben, hinausschauen in die Weite, aus der die stets gleichenNachrichten kommen auf flüchtigem Rücken. Was da draußen gewiegt wird: Tang und weißgewaschene Hölzer, tote Fische und Glaskugeln, aus kunstvollem Netzwerk befreit, Quallen und ein unsinkbarer Wimpel, den ein Sturm vom Mast riß.
    Wie schön alles ist, solange es gewiegt wird, und wie arm es uns vorkommt, wenn die letzte Welle es auf den Strand geworfen hat! Der Fisch gehört in die Tiefe, ins Schweigen, dort ist sein Gleiten eine Art von Fliegen, aber hier auf dem Sand schrumpft seine ideale Form, er dörrt, wird seiner Farben beraubt, die herrliche Schwanzflosse leuchtet nicht mehr, und auch das Glotzauge verliert seinen Glanz. Ihre Schönheit ist für die Tiefe gemacht, jedenfalls für den Meeresgrund. Traurig, wie der Seestern hier an der Sonne seine Arme krümmt, wie die kleinen Saugfüße immer wieder hervorschmelzen auf der Suche nach einem Halt. Welch eine Muskelkraft in ihm steckt; mit ihr hat er einst die widerständigste Muschel geöffnet; nun platten sich schon die Arme ab; bald wird er steif und trocken, und Silke aus Pinneberg wird ihn vielleicht als Lesezeichen in ihr Buch legen.
    Höher hinauf, dort, wo die Flut ihre letzte Markierung hinterließ, liegt ein Stück Netz; du hebst es auf und erkennst an der Verknotung, daß es das Endstück einer Reuse ist, und nicht nur dies: dein geübter Blick sagt dir, daß es gewaltsam abgetrennt wurde vom ausgeklügelten Fangsystem. Doch wer hat es getan? Und mit welchem Werkzeug? Und du setzt dich in den Sand und denkst dir einen Klaas Matthiesen, der mit seinem alten Kajütmotorboothinaustuckert auf eine friedliche, sommerliche See, an einem warmen Abend. So könnte es sich zugetragen haben: nur weil das Meer so still war und so harmlos aussah, gelang es Klaas, Eva Eicken zu einem kurzen Ausflug zu überreden, nur mal eben ein Stück an der Küste entlang. Sprechen konnten sie nicht viel, gegen den pochenden Motor war kaum anzukommen; sie begnügten sich damit, einander zuzulächeln und mit ausgestreckter Hand auf die Dinge zu deuten, die sie sich zeigen wollten. Nie zuvor war es Klaas gelungen, Eva Eikken so für sich allein zu haben, er wünschte sich, daß die Fahrt dauerte,

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