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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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wurde heiter gefragt, ob man dem Zackenbarsch Maßstäbe zugute halten könne, und der Referent sagte: Wohl nur seine eigenen. Ob dieser Richter im Seeaquarium sich auf irgendeinen Auftrag berufen könne, wurde gefragt. Der Referent schüttelte den Kopf. Offenbar waltet er seines Amtes, sagte er, weil er Meinungen hat, weil eralso – zum Beispiel – Anspruch und Vermögen des Papageifisches beurteilen kann. Und weiter ging es in sonderbarem Einverständnis; keine Frage brachte den Referenten in Verlegenheit, selbst als einer wissen wollte, ob der Große Zackenbarsch auch eine gesellschaftliche Funktion erfülle, gab er bereitwillig, wenn auch etwas gequält, Antwort.
    Plötzlich erschrak ich. Als ich einmal zufällig zur offenen Tür blickte, erkannte ich zwei Sanitäter, die die Treppe hinaufstürmten. Ich wußte sofort, wohin sie wollten. Von Sorge bestimmt, verließ ich den Vortragssaal, angegiftet und von ungnädigen Blicken begeisterter Zuhörer begleitet.
    Blunsch-Hochfels, mein Direktor, lag ächzend in seinem Sessel und überließ gerade eine schlappe Hand einem der Sanitäter. Der Hausmeister, der die Sanitäter gerufen hatte, machte mir überflüssigerweise ein Zeichen, leise aufzutreten. Ich übersah sein Zeichen. Ich trat in den Gesichtskreis des Zusammengebrochenen und fragte, was geschehen sei. Mühevoll, wie es seiner Lage entsprach, öffnete mein Direktor die Augen und sagte: Botho von Sippel ... abgesagt ... seine Schwester hat eben angerufen. Der banalste Grund: Autounfall. Aber er ist doch erst morgen dran, sagte ich. Niemand kann Botho von Sippel ersetzen, sagte mein Direktor, niemand ist so geeignet, über »Geist und Macht« zu sprechen, wie er. Über »Geist und Macht«? fragte ich und gab schon einem Einfall nach. Über »Geist und Macht«, bestätigte mein Direktor. In diesem Augenblick drang aus dem großen Vortragssaalein Beifall zu uns herauf, wie wir ihn nur sehr selten gehört hatten, frenetisch zunächst und dann rhythmisch. Wem gilt das? fragte Blunsch-Hochfels matt und verwirrt, und ich darauf, spontan: Wem? Dem Großen Zackenbarsch.
    1990

Epilog:
Kleines Strandgut

 
    Meditation und Wasser sind, das weiß jedermann,
    für immer miteinander vermählt.
                                           Herman Melville, Moby Dick
     
     
     
     
    Wenn es doch nur einmal zurückwiche, wenn es doch – plötzlich, in einer Nacht – schrumpfte und austrocknete und seinen runzligen Grund freigäbe mit allen Geheimnissen! Auf der Düne, am Strand, auf der Mole: immer wieder hab ich’s mir gewünscht, daß das Meer sich nur einmal entleerte, verginge, verdampfte und daß zum Vorschein käme, was in lichtloser Tiefe ruht. Prompter kann sich ein Wunsch gar nicht einstellen. Kaum stehe ich vor dieser dünenden Weite, versuch ich mir auch schon auszudenken, was tief unten, unter gleichmütig anlaufenden Wellen, verborgen ist, was dort lauert und treibt und trudelt.
    Und ich denk mir glitzernde Schlammfelder und ermattete Tangwälder, bilde mir unterseeische Gebirge ein und Muschelbänke und feine, aufgeworfene Sände, die geduldig auf einen Schiffskiel warten. Gleich steigen auch Stimmungsbilder auf: ein einsamer Heringshai streicht durch ein lautloses Atlantis; in den Wanten des schnellen Salpeter-Seglers »Mary Andersson«, der mit sanfter Krängung auf Grund liegt, hängt ein toter Albatros; von großäugigen Sepien umspielt, treibt der zu Lebzeiten immer fröhlicheBootsmaat Jan Vollmer durch grüne Dämmerung, und neben der muschelbewachsenen Karavelle »Esperanza« schnappt eine Muräne nach den blitzenden Dublonen, die aus der geborstenen Schiffskiste herausrieseln. Groß ist die Beute, die das Meer in tausend Jahren gemacht hat, groß dürfen deshalb auch die Erwartungen sein.
    Aber, ich weiß, alles Wünschen hilft nicht, das Meer wird sich niemals zurückziehen, den gewellten Mantel aufheben, der alles deckt, was auf dem Grund liegt oder über ihn hinschwebt – Männer und Mäuse, Schiffe und sagenhafte Städte, Inseln und altersschwache Leuchttürme: was es sich holt, das behält es, das meiste verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Es versinkt, es geht unter, willkommen geheißen vom großen Kraken und bestaunt vom tief tauchenden Blauwal.
    Oben jedoch, an den Küsten, da ernährt das Untergegangene die Phantasie; in pausenreichen Gesprächen, vor gleichgültigem Horizont hören sie nicht auf, von denkwürdigem Schiffbruch zu erzählen, der nichts

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