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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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ostfriesischen Inseln, die Seen Dänemarks und Schleswig-Holsteins, die Elbe, der Hamburger Hafen. Die Seekarte des Lenzschen Werkes zeigt eine vertraute Topographie. Das gilt für frühe Erzählungen wie »Das Wrack« und »Die Flut war pünktlich«, die auf der Elbe bzw. am Wattenmeer spielen, und für die Erzählung »Das Feuerschiff«, die ein festliegendes Schiff an der Küste der Ostsee zum Schauplatz hat. Es gilt nicht weniger für den großen Roman Deutschstunde mit seinen wechselnden Schauplätzen: hier das Dorf Rugbüll am nordfriesischen Wattenmeer, wo der Maler Max Ludwig Nansen seine verbotenen Bilder malt, dort die Elbinsel mit der Jugendstrafanstalt, wo der Erzähler Siggi Jepsen seine Geschichte zu Papier bringt: »... schau ich zum Fenster hinaus, fließt da durch mein weiches Spiegelbild die Elbe; mach ich die Augen zu, hört sie nicht auf zu fließen, ganz bedeckt mit bläulich schimmerndem Treibeis.«
    Nicht denkbar ist der frühe Roman Der Mann im Strom ohne den Hamburger Hafen und die Präsenz des großen Flusses, der bereits mit den ersten Sätzen ins Bild kommt. In der Erzählung »Einstein überquert die Elbe bei Hamburg« wiederum, einem in nur drei Sätzen erzählten novellistischen Glanzstück, gewinnt der Fluß in aller Genauigkeit des realistischen Details ein quasi surrealistisches Ansehen, als gerieten Zeit und Ort durch den unwirklichen Fahrgast an Bord der Fähre für einen Augenblick aus den Fugen.
    Eine andere Erzählung, zwölf Jahre früher entstanden,heißt »Stimmungen der See« und handelt von dem Versuch einer Ostseeüberquerung in einem kleinen Fischkutter. Erzählt wird die – einigermaßen zeittypische – Geschichte einer Flucht aus dem Dritten Reich. Doch im Verlauf der Erzählung verlieren die Personen allmählich an Bedeutung neben dem eigentlichen Protagonisten der Geschichte, dem wandelbaren, launischen, übermächtigen Meer, das sein Gesicht innerhalb weniger Stunden unaufhörlich verändert und das Gesetz des Handelns bestimmt.
    Lenz’ Schilderung ist von einer intensiven Genauigkeit, die seine intime Vertrautheit mit den maritimen Vorgängen belegt. Er kennt die »Stimmungen der See«, die wechselnden Farben des Wassers, die unberechenbaren Strömungen, die Launen des Windes, die Wolkenbildungen, die Bewegungen des Bootes, das auf den Wellenkämmen reitet, torkelt, trudelt oder schwojt. Jederzeit ist spürbar, daß der Autor sich nicht nur kurzfristig »kundig gemacht« hat – so wie man sich für einen bestimmten Zweck gewisse, genau umgrenzte Kenntnisse aneignet –, Siegfried Lenz kennt sich tatsächlich aus. Er kennt die Küsten und Inseln, Flüsse und Seen Norddeutschlands, die Gewohnheiten der Bewohner, ihre scheinbar nüchterne Wesensart, ihre Einsilbigkeit und Kurzangebundenheit, ihre schwere, oft mühselige Arbeit, aber auch die Eigenarten der nautischen Berufe: Typen und Formen von Schiffen und Booten, die Handgriffe der Seeleute, ihre Sprache und Fachausdrücke, das besondere Vokabular, das ihre Redeweise prägt. Solche Kenntnis erwirbtsich nicht von heute auf morgen, sie setzt lange Beschäftigung aus Neigung und innerer Affinität voraus.
    Siegfried Lenz hat sich einmal einen »Bruder Undines« genannt, aber man könnte ihn auch einen Nachfahren von Odysseus, Robinson und Ahab nennen, von Figuren also, die schon früh seine Phantasie besetzt hielten. Wie sie suchen die Helden seiner Bücher den Kampf, das Abenteuer, die Möglichkeit der Bewährung. Doch bleibt ihnen die Erfahrung des Scheiterns und der Niederlage nicht erspart, auch wenn sie durch Geduld und Ausdauer verzögert wird. Schon in dem frühen Roman Duell mit dem Schatten erklärt der Protagonist: »Am Aushalten ... erkennt man den Grad der Mündigkeit. Aushalten, das heißt, dem Gleichmut der Welt seinen eigenen Gleichmut entgegensetzen.«
    Der Satz ist ein Schlüsselsatz für Lenz, eine Konfession des Schriftstellers, der lebenslang geschrieben und »ausgehalten« hat: den Gleichmut der Welt und ihre Widerstände. Wenn zur Vollendung eines Schriftstellers, mit Goethe gesprochen, die Fülle gehört, die Stetigkeit in verschiedenen Lebensphasen, dann gibt es dafür in unserer Literatur kein besseres Beispiel als Siegfried Lenz. In über fünfzig Jahren hat er ein Werk von erstaunlichem Umfang hervorgebracht: vierzehn Romane, über hundert Erzählungen, Theaterstücke, Essays, Reden, Rezensionen, daneben die vielen Forderungen des Tages, denen er sich nicht entzogen hat, ohne der Gefahr

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