Waylander der Graue
Gesicht des Mannes war markant und irgendwie alterslos. Er konnte zwischen dreißig und fünfzig sein. Sein graues Haar, noch immer von Schwarz durchzogen, war schulterlang und wurde von einem schwarzen, seidenen Stirnband zurückgehalten. Seine Miene war ausdruckslos, doch die dunklen Augen waren auf Camran gerichtet.
Er näherte sich ihnen bis auf etwa drei Meter, dann zog er an den Zügeln und wartete ab.
Camran spürte einen brennenden Schmerz, als ihm der salzige Schweiß in die Stirnwunde rann. Seine Lippen waren trocken, er fuhr sich mit der Zunge darüber. Ein grauhaariger Mann gegen vier Krieger. Der Mann konnte nicht gewinnen. Aber warum hatte er dann so schreckliche Angst, dass es ihm den Magen zuschnürte?
In diesem Augenblick warf sich das Mädchen plötzlich vom Sattel. Camran versuchte sie zu packen, verfehlte sie und fuhr wieder herum, um zu dem Reiter zu sehen. In diesem kurzen Moment flatterte der Umhang des Mannes einmal. Sein Arm schoss hoch. Zwei Armbrustbolzen trafen die beiden Reiter neben Okrian. Der erste fiel vom Sattel, der zweite sackte nach vorn über den Hals seines Pferdes. Okrian trieb sein Pferd an und attackierte den Reiter. Camran folgte mit ausgestrecktem Säbel. Die linke Hand des Mannes zuckte nach vorn. Ein schimmernder silberner Strahl schoss durch die Luft, drang in Okrians linkes Auge und weiter ins Hirn. Er kippte nach hinten, das Schwert entfiel seiner Hand. Camran stieß mit dem Säbel nach dem Angreifer, doch der Mann wich im Sattel aus, sodass die Klinge ihn um Zentimeter verfehlte. Camran riss sein Pferd herum.
Etwas traf ihn in der Kehle. Plötzlich bekam er keine Luft mehr. Er ließ sein Schwert fallen und tastete seinen Hals ab. Er packte den Griff des Wurfmessers und zog es aus seinem Fleisch. Jetzt sprudelte Blut über seine Tunika. Sein Pferd bäumte sich auf und warf ihn ab. Als er im Gras lag und an seinem eigenen Blut erstickte, erschien ein Gesicht über ihm.
Es war das Mädchen.
»Ich hab es dir doch gesagt«, sagte sie.
Der sterbende Mann sah mit Entsetzen, wie ihre gefesselten Hände das blutige Wurfmesser packten und es hoch über sein Gesicht hielten. »Das ist für die Frauen«, sagte sie.
Und das Messer stieß herab.
KAPITEL 1
Waylander schwankte im Sattel, Erschöpfung und Schmerz drückten ihn nieder und spülten den Zorn hinweg. Blut aus der Platzwunde auf seiner linken Schulter war ihm über Brust und Bauch gelaufen, aber das hatte jetzt aufgehört. Die Wunde in seiner Seite jedoch blutete noch immer. Er fühlte sich leicht benommen und packte den Sattelknauf. Dann machte er langsame, tiefe Atemzüge.
Das Dorfmädchen kniete neben dem toten Anführer. Er hörte sie etwas sagen, dann sah er, wie sie sein Wurfmesser in ihre gefesselten Hände nahm und es dem Mann wieder und wieder ins Gesicht stieß. Waylander wandte die Augen ab, sein Blick verschwamm.
Vor fünfzehn Jahren hätte er diese Männer gejagt und wäre ohne einen Kratzer davongekommen. Jetzt pochten seine Wunden, und nun, da die Wut verflogen war, fühlte er sich leer, bar jeden Gefühls. Sehr behutsam stieg er ab. Seine Beine gaben beinahe unter ihm nach, doch er hielt sich am Sattelknauf fest und sackte gegen seinen stahlgrauen Wallach. Zorn über seine Schwäche flackerte auf und verlieh ihm ein wenig Kraft. Er griff in die Satteltasche und zog einen kleinen Beutel aus blauem Leinen heraus, mit dem er zu einem großen Stein ging. Seine Finger zitterten, als er den Beutel öffnete. Er blieb einen Augenblick still sitzen, dann öffnete er seinen schwarzen Umhang und ließ ihn über den Felsen gleiten.
Das Mädchen kam zu ihm. Blut war ihr ins Gesicht und über das lange Haar gespritzt. Waylander zog sein Jagdmesser und schnitt ihr die Stricke durch, mit denen ihre Hände gefesselt waren. Die Haut darunter war aufgescheuert und blutete.
Zweimal versuchte er sein Messer einzustecken, doch sein Blick vernebelte sich, und er legte das Messer stattdessen neben sich auf den Stein. Das Mädchen betrachtete sein zerrissenes Lederhemd und die Blutflecken darauf. »Du bist verletzt«, sagte sie. Waylander nickte. Er schnallte seinen Gürtel ab und griff mit der rechten Hand nach oben, um sein Hemd auszuziehen, doch er hatte keine Kraft mehr. Rasch trat sie neben ihn und zog ihm das Hemd über den Kopf. Er hatte zwei Wunden: eine Schnittwunde, die von der linken Schulter zum Schlüsselbein verlief, und eine tiefere Stichwunde mit dem Eintritt knapp über seiner linken Hüfte und
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