Waylander der Graue
einzugehen.
»Ja, Grauer Mann«, sagte sie mit einem kessen Lächeln. »Ich werde daran denken.«
Wie belastbar die Jungen sind, dachte er. Keeva hatte Tod und Zerstörung miterlebt, war vergewaltigt und missbraucht worden und befand sich jetzt weit von ihrem Zuhause entfernt in Gesellschaft eines Fremden. Doch sie konnte trotzdem lächeln. Dann sah er in ihre dunklen Augen und entdeckte unter dem Lächeln Spuren von Kummer und Angst. Sie gab sich große Mühe, unbekümmert zu erscheinen, ihn zu bezaubern. Und warum auch nicht?, dachte er. Sie ist ein Bauernmädchen ohne Rechte, bis auf die, die ihre Herren ihr zugestehen, und das sind nur wenige.
Wenn Waylander sie vergewaltigen und töten würde, gäbe es keine Untersuchung und nur wenige Fragen. Genau genommen besaß er sie, als wäre sie eine Sklavin. Warum sollte sie also nicht versuchen, ihm zu gefallen?
»Du bist bei mir sicher«, sagte er.
»Ich weiß das, Herr. Du bist ein guter Mann.«
»Nein, das bin ich nicht. Aber du kannst meinen Worten trauen. Dir wird nichts mehr geschehen, und ich werde dich sicher nach Hause bringen.«
»Ich traue deinen Worten, Grauer Mann«, antwortete sie. »Mein Onkel sagte, dass Worte nichts weiter wären als Geräusche. ›Vertraue auf Taten‹, sagte er, ›nicht auf Worte‹. Ich werde dir nicht zur Last fallen. Ich kümmere mich um deine Wunden, während wir unterwegs sind.«
»Du bist mir keine Last, Keeva«, sagte er leise, dann trieb er sein Pferd an.
Sie ritt neben ihm. »Ich sagte ihnen, dass du kommen würdest. Ich sagte, du würdest sie töten. Aber ich habe es selbst nicht recht geglaubt. Ich wollte nur, dass sie Angst bekamen, so wie ich Angst hatte. Dann kamst du. Und sie hatten Todesangst. Es war wundervoll.«
Sie ritten mehrere Stunden lang nach Süden und Westen, bis sie auf eine alte gepflasterte Straße trafen, die zu einem abgeschiedenen Fischerdorf am Ufer eines breiten Flusses führte. Das Dorf bestand aus etwa vierzig Häusern, von denen viele aus Stein gebaut waren. Die Menschen wirkten wohlhabend, dachte Keeva. Selbst die Kinder, die auf der Straße spielten, trugen Kleider, die weder abgetragen waren noch Flicken aufwiesen, und alle hatten Schuhe an.
Der Graue Mann wurde sofort erkannt, und die Menschen versammelten sich. Der Oberste des Dorfes, ein kleiner, untersetzter Mann mit schütterem blondem Haar, schob sich zwischen ihnen hindurch. »Willkommen, Sir«, sagte er mit einer tiefen Verbeugung. Keeva sah die Angst in den Augen des Mannes und spürte die nervöse Spannung, die von der kleinen Menschengruppe ausstrahlte. Der Graue Mann stieg ab.
»Jonan, nicht wahr?«
»Jawohl, Sir. Jonan«, antwortete der kleine Dorfälteste mit einer erneuten Verbeugung.
»Nun, ganz ruhig, Jonan. Ich bin nur auf der Durchreise. Ich brauche Proviant für den Rest der Reise, und meine Begleitung braucht frische Kleider und auch einen warmen Umhang.«
»Es wird sofort geschehen, Sir. Ihr seid herzlich willkommen, solange in meinem Haus zuwarten, während meine Frau ein paar Erfrischungen vorbereitet. Lasst mich euch den Weg zeigen.« Wieder verbeugte sich der kleine Mann und wandte sich der Menge zu. Auf einen Wink von ihm verbeugten sich alle. Keeva stieg von dem großen Pferd und folgte den beiden Männern. Man konnte dem Grauen Mann nicht ansehen, dass er verwundet war, bis auf das getrocknete Blut auf seiner zerrissenen Tunika.
Jonans Haus war aus gebrannten Ziegelsteinen errichtet, die Vorderseite mit geschwärzten Balken verziert, das Dach war mit roten Lehmziegeln gedeckt. Jonan führte sie in ein lang gestrecktes Wohnzimmer. Am nördlichen Ende war eine große Feuerstelle, ebenfalls aus Ziegeln gemauert, und davor standen mehrere tiefe Ledersessel und ein niedriger Tisch. Der Fußboden bestand aus polierten Holzdielen, geschmückt mit schönen Teppichen, die kunstvoll aus Kiatze-Seide geknüpft waren. Der Graue Mann ließ sich in einem Sessel nieder und legte den Kopf an die hohe Rückenlehne. Eine junge blonde Frau trat ein. Sie lächelte Keeva nervös an und knickste vor dem Grauen Mann.
»Wir haben Bier, Sir«, sagte sie, »oder Wein. Was ihr wollt.«
»Nur etwas Wasser, danke«, antwortete er.
»Wir haben auch Apfelsaft, wenn ihr das lieber wollt.«
Er nickte. »Das wäre sehr schön.«
Der kleine Dorfälteste zappelte unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Darf ich mich setzen, Sir?«, fragte er.
»Es ist dein Haus, Jonan. Natürlich kannst du dich setzen.«
»Danke.« Er sank in
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