Wechselspiel der Liebe
starrte die junge Frau den Mann an, der sich erheben wollte, aber er konnte es nicht.
Groß und kräftig gebaut, mit dichtem, eisengrauem Haar, war er ihr unbesiegbar erschienen. Doch nun breitete sich ein roter Heck auf seinem weißen Rüschenhemd aus. Die Kugel hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Er-staunt sah er dem Tod ins Auge, mit einem letzten Atemzug sank er zu Boden.
Sie schaute auf die Waffe in ihren Händen hinab.
Aber es waren doch nur Platzpatronen gewesen ... Ihr entsetzter Blick wanderte an dem Toten vorbei, begegnete einem Augenpaar in einem grausamen, intelligenten Gesicht. Als ein leises Rascheln hinter ihr erklang, drehte sie sich um.
Für diesen Tag war der große Salon in ein Theater verwandelt worden. Sie hatte auf der improvisierten Bühne gestanden, dem Publikum zugewandt, das im Halbkreis vor ihr saß. Nun beobachtete sie, wie der Vorhang herabfiel, der den Hintergrund bildete. Dort hatte jemand gestanden und eine echte Kugel abgefeuert, in derselben Sekunde, wie sie selbst die Platzpatrone — ein Requisit, das zu ihrer Rolle gehörte.
Plötzlich wurde die Grabesstille durchbrochen, die dem Knall gefolgt war. Alles schrie durcheinander.
»Packt sie!«
»Sie hat ihn getötet!«
»Mörderin!«
»Oh, mein Gott, haltet die Mörderin fest!« Die schön gekleideten Damen und Herren eilten auf die Bühne, und die junge Schauspielerin glaubte in allen Augen wilden Blutdurst zu lesen.
Großer Gott, man hatte ihr eine Falle gestellt — eine heimtückische Falle ...
Aber sie würde sich wehren. Für das Verbrechen eines anderen wollte sie nicht büßen. Sie würde laufen, so weit sie nur konnte ...
Die Zeit schien stillzustehen. Ein letztes Mal erwiderte die junge Frau den harten, glitzernden Blick des Mannes, der einen gemeinen Mord angeordnet hatte, um sie in eine Falle zu locken.
Nein, es durfte nicht geschehen. Blitzschnell kehrte sie ihm den Rücken und rannte zum Fenster.
In der Waldesmitte überlief ihn ein Schauer, und er holte tief Atem. Er konnte nur hoffen, die Spannungen zwischen den Weißen und den Seminolen würden nachlassen.
Plötzlich frischte der Wind auf, welkes Herbstlaub wirbelte empor, und das Rascheln klang wie eine geflüsterte Warnung. Ärgerlich verfluchte er sich, weil die Fantasie ihm einen Streich spielte. Dann pfiff er leise, um sein Pferd herbeizurufen, stieg auf und lauschte.
Der Wind erstarb so schnell, wie er aufgekommen war, die Blätter schwiegen.
Vorerst.
Er drückte seine Fersen in die Pferdeflanken und ritt den Pfad hinab.
William, dachte sie, während sie durch das Fenster kletterte, um dem Geschrei und den Schritten der Verfolger zu entfliehen. Oh, mein Gott, William!
Aber William konnte nicht darin verstrickt sein, er war bei Marina und in Sicherheit. Natürlich würde er erkennen, daß ihr keine Wahl blieb — sie mußte davonlaufen. Wie er sich sorgen würde, halb krank vor Angst ...
Doch er würde es verstehen. Die Zeit war kostbar, und sie hatte nur noch wenige Sekunden ...
Ihre Füße berührten den Boden, und sie stürmte über den gepflegten Rasen, zu den Bäumen.
Er verließ den gewundenen Pfad zwischen den Zypressen und erreichte die breitere Straße. Offenbar spürte das Pferd die Stimmung seines Herrn, denn es begann zu galoppieren. Tief über den Hals des kraftvollen Hengstes gebeugt, umklammerte er die Zügel.
Bald würde er zu Hause eintreffen — nur um sofort wieder aufzubrechen. Er wollte den Meereswind auf den Wangen fühlen, den wachsenden Spannungen entrinnen ... davonlaufen.
Vor dem beharrlichen Schmerz, den einsamen Nächten und Tagen.
Sie tauchte im Schatten der Bäume unter, weit entfernt vom Haus.
Sicher, sie waren hinter ihr her. Aber in ihrer Verwirrung folgten sie ihr zu langsam, und sie hatte einen beruhigenden Vorsprung gewonnen. Rasch eilte sie zwischen den Bäumen hindurch.
William, großer Gott, William ...
Zunächst mußte sie sich verkleiden, ihre Frisur verändern, und sie durfte nicht innehalten.
Am Waldrand sah sie den Weg, der aus der Stadtmitte herausführte. Ihre Beine schmerzten, aber sie zwang sich weiterzulaufen, immer weiter ...
TEIL I
Das Spiel des Zufalls
1
Der Hafen von New Orleans, Winter 1835/36
Jarrett McKenzie bemerkte die Frau, sobald sie die alte Hafenkneipe betrat, wenn er auch nicht viel von ihr sehen konnte.
Ein weiter, schwarzer Umhang mit Kapuze verhüllte sie vom Scheitel bis zur Sohle. Daß sie weiblichen Geschlechts war, entnahm er nur ihren anmutigen Gesten, als
Weitere Kostenlose Bücher