Weg da das ist mein Fettnapfchen
geworden.
»Klar«, sagte ich.
Sie hastete in die Fotoabteilung, um den Anruf entgegenzunehmen, kehrte aber kurz darauf zurück.
»Danke«, erklärte sie und trat wieder hinter ihren Tresen. »Ich habe mir große Sorgen gemacht, als es hieß, dass es um meine Tochter geht. Aber es ist alles in Ordnung. Sie will nur noch eine Weile länger bei ihrer Freundin bleiben, deshalb hat deren Mutter angerufen. Ich hatte wirklich Angst!«
»Das hat man Ihnen angesehen«, meinte ich. »Ich bin froh, dass alles in Ordnung ist.«
»Ich auch«, gab sie zurück. »Danke, dass Sie so nett zu mir waren. Sie sind sehr nett. Viele Leute wären nicht so nett gewesen.«
Ich horchte auf.
»Mir ist klar, dass Sie es manchmal nicht leicht haben hier«, sagte ich dann, worauf sie heftig nickte.
»Manche Leute haben einen ziemlichen Vogel«, erklärte sie leise.
»Ich weiß. Ich habe es selbst erlebt. Kürzlich habe ich eine Frau beobachtet, die ›Automatikklebeband‹ haben wollte«, erklärte ich, zuckte die Achseln, runzelte die Stirn und brach dann in Gelächter aus.
Die Böse Frau nickte. »Die kenne ich«, zischte sie und schlug mit der Faust auf den Tresen.
»Ich finde Sie auch nett«, versicherte ich ihr, worauf sie lächelnd nickte und das Versandetikett glatt strich.
»Hey«, meinte ich, als mein Blick auf ihr Handgelenk fiel. »Wo ist denn Ihr Tattoo?«
Es war verschwunden. Der feuerspeiende Drache war nicht mehr da.
»Oh«, sagte die nette Frau und zeigte hinter sich an die Wand, an der eine Auswahl schillernd bunter Tattoo-Aufkleber hing, darunter auch der furchterregende Drache.
In dieser Sekunde brachen wir vor Lachen über dem Tresen zusammen.
Rollenspiele
Oliver Twist stand mit schlaff in der Hand baumelnder Melone vor mir. Die Angst in seinen Augen war größer als bei jedem frechen Gassenrotzlöffel, der mir je begegnet war. Die fette alte Omi aus Scottsdale, deren Monstertitten sich irgendwo auf Taillenhöhe eingependelt hatten, bekam die Zähne nicht auseinander, während die Vampirkönigin schweigend verfolgte, wie ich den Arm hob und ihn mit voller Wucht auf Jamies Rücken krachen ließ, sodass sie beinahe aus ihrem Rollstuhl katapultiert worden wäre.
So hatte ich mir meinen Geburtstag eigentlich nicht vorgestellt. Zufällig habe ich an Halloween Geburtstag, was nicht einmal ansatzweise so lustig ist, wie Leute, die nicht damit gesegnet sind, vielleicht glauben:
1.)An diesem Tag stehen zwangsläufig ständig kleine Kinder vor der Tür und wollen etwas von einem haben, außerdem verwechselt man in Oregon mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit das Geschlecht der lieben Kleinen, selbst wenn sie im Tutu, Ballettschuhen und mit einem Krönchen auf dem Kopf vor einem stehen.
2.)Es gibt immer jemanden, der an diesem Abend schon eine Party schmeißt. Manchmal eskaliert das dann, vor allem wenn die Leute anfangen, ein Riesentamtam um ihren Studienabschluss zu machen und sich zu Sprüchen à la »Ich war länger auf der Uni als sonst irgendjemand« hinreißen lassen und die deswegen meinen, sie hätten das Vorrecht, die Party zu schmeißen. Für solche Leute ist die Einladung zu einer Geburtstagsfeier dann der reinste Schlachtaufruf. Man stellt immer wieder fest, dass Leute, die sonst nur wenig Interessen haben im Leben, gerne mal vergessen, dass es lediglich um eine schnöde Halloween-Party in einer halb verfallenen, stinkenden Kellerbude mit der dreckigsten Toilette des Landes geht und nicht um die Rechte an der Trinkwasserförderung im Mittleren Osten.
3.)Und als würde dieser ganze »Süßes-oder-Saures«-Blödsinn an meinem Geburtstag nicht schon genügen, um mir die Laune zu verhageln, muss ich mich auch noch mit der Tatsache auseinandersetzen, dass ich schon wieder um ein Jahr älter geworden bin und definitiv keine Gefahr mehr besteht, dass mein Alter mit dem Ergebnis eines Footballspiels verwechselt wird, sondern eher Ähnlichkeit mit der Anzeige auf dem Blutdruckmessgerät besitzt. Diese Tatsache wurde eines Tages noch untermauert, als ein Mann, den jeder in der Stadt kannte und den erschreckend wenige Jahre von mir trennten, eines natürlichen Todes starb und sich außer mir niemand sonderlich darüber aufregte.
Tja, was soll man machen, sagte ich mir, als die meisten Leute nickten und meinten, dass er uns allen fehlen würde. Ich bin eben nicht länger in einem Alter, wo man ein Ableben als eine »Tragödie« betrachtet, sondern inzwischen so alt, dass sich keiner mehr groß was drum scheren
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