Weg da das ist mein Fettnapfchen
würde, wenn ich auf der Stelle tot umfiele. Statt auf meinem Begräbnis »eine Schande, sie war ja noch so jung« oder das allseits beliebte »Sie hatte noch ihr ganzes Leben vor sich« zu murmeln, würden die Leute lediglich knappe Trauerbekundungen oder Sätze wie » Natürlich ist sie abgekratzt, ich meine, hast du gesehen, was die in sich hineingestopft hat« von sich geben, gefolgt von Sprüchen wie »Also, mal ganz unter uns, es grenzt an ein Wunder, dass sie überhaupt so lange gelebt hat. Der einzige Sport, den sie regelmäßig betrieben hat, war der, bei dem man die Zähne bewegen muss« oder »Wieso, sie hat immerhin länger gelebt als ein durchschnittlicher Höhlenmensch. Ist doch nicht so übel, oder?«
Nachdem mir inzwischen bewusst geworden war, dass der Tod direkt vor meinen Augen, sprich, unmittelbar neben dem Salzstreuer lauerte, hatte ich nur einen Herzenswunsch für meine Party: dass ich nicht am Vorspeisenbuffet zusammenbrach und die restlichen Gäste meine Arme und Beine anheben mussten, um besser an die Dips heranzukommen. Solange ich die Feierlichkeiten nur lebend überstand (oder ins Gras biss und nur ein einziger meiner Gäste vor Trauer in Tränen ausbrach), konnte ich das Ganze als Erfolg verbuchen.
Bislang lief alles nach Plan. Der 31. rückte näher. Ich lag nicht im Krankenhaus, brauchte keine Organtransplantation oder siechte im Altersschwächekoma dahin. Stattdessen war ich völlig aus dem Häuschen gewesen, als meine beste Freundin Jamie einige Wochen vorher ankündigte, sie werde die hundert Meilen von Portland herfahren, um mit mir zu feiern, und im selben Moment kam mir eine brillante Idee. Ich erklärte ihr, was ich vorhatte, woraufhin sie meinte: »Es gibt nur eines, was besser ist als eine Party. Eine Party, bei der ich nicht aufzustehen brauche.«
Und damit war das Ganze beschlossene Sache.
Als sie am Halloween-Morgen vorfuhr, hatte sie einen Koffer und eine kleine Reisetasche dabei. Im Koffer lag alles, was sie für ihre Verwandlung in Blanche Hudson aus dem alten Horrorklassiker Was geschah wirklich mit Baby Jane? brauchte.
Jamie und ich hatten als junge Mädchen stets wie gebannt verfolgt, wie der einstige Kinderstar Jane, gespielt von Bette Davis, ihre Schwester und ehemalige Filmschönheit Blanche, gespielt von Joan Crawford, nach allen Regeln der Kunst quälte. Seit dem Tag auf der Highschool, als wir uns den Film das erste Mal angesehen hatten, hatte ich Jamie in den Ohren gelegen, zu Halloween in die Rolle der Schwestern zu schlüpfen, aber Jamie hatte nie so recht mitgezogen. Blanche, die wegen eines Autounfalls, für den ihre betrunkene und eifersüchtige Schwester die Verantwortung trug, an den Rollstuhl gefesselt war, sowie ihre Haustiere sind der bösen Jane auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Die versank ihrerseits zusehends im Sumpf ihrer Alkoholsucht und des Irrsinns und legte regelmäßig Tobsuchtsanfälle der übelsten Sorte hin. Ganz ehrlich, wenn es etwas Herrlicheres als eine betrunkene alte Frau mit verschmiertem Make-up gibt, dann ist es eine betrunkene alte Frau in einem Kostüm aus ihren Tagen als kindliche Schönheitskönigin, die in einem Zustand alkoholisierten, halluzinatorischen Wahns noch einmal die Glanzzeiten ihrer Jugend durchlebt. Genau so stelle ich mir im Übrigen meinen Ruhestand vor, aber sobald jemand Zeuge dieses Schauspiels wird, verliert das Ganze ziemlich schnell seinen spielerischen Reiz. Das erklärt vielleicht, weshalb ich die sechzehnjährige Jamie nie dazu überreden konnte, sich an Halloween zu verkleiden und auf Partys mit Jungs zu flirten, die ausnahmslos wie Bobby Ewing aus Dallas aussahen und den Abend lieber damit verbrachten, mit der blonden Lucy zu knutschen statt mit einer fünfzigjährigen unterernährten Paraplegikerin.
Aber jetzt lagen die Dinge anders. Obwohl ich immer noch bei klarem Verstand war und keine Briefe an Bekannte und Verwandte schrieb, um sie um eine Spenderniere anzuhauen, litt ich unter Bluthochdruck, und mein Zahnarzt warf mit dem Wort »Implantat« um sich, als handelte es sich um eine fröhlichbunte Luftschlange. Ich war dem Tod zwei Schritte näher gekommen, das konnte ich nicht leugnen. Ich konnte jederzeit ohne Vorwarnung den Löffel abgeben, und das einzig Tragische daran wären die Leute, die am letzten Tag des Verkaufs meiner Habseligkeiten auftauchen und feststellen würden, dass all meine Sachen voll mit Hundehaaren waren. Es war höchste Zeit, endlich die Hudson-Schwestern zum Leben
Weitere Kostenlose Bücher