Weg da das ist mein Fettnapfchen
Unterschied zwischen einem Briefmarkenblatt und einem Briefmarkenheftchen liegt, oder c.) ob sie einen Scheck auch über eine höhere Summe ausschreiben und sich den Überschuss von sieben Dollar, zweiundvierzig Cents auszahlen lassen konnten. Da wurde mir endgültig klar, dass man den Postangestellten Unrecht tut, wenn man behauptet, sie seien schräge Vögel. Ich meine, wenn man sich tagein, tagaus mit Schwachköpfen herumschlagen muss, die »Automatikklebeband« für ihre Maiskorntüten verlangen, ist es durchaus nachvollziehbar, dass man selbst ein bisschen aus dem Gleis gerät, oder?
Über ein Jahr lang setzte ich keinen Fuß mehr in dieses – oder irgendein anderes – Postamt. Wenn ich ein Päckchen aufgeben musste, entschied ich mich für andere, teurere Versandarten, und meine Briefmarken kaufte ich nur noch online. Aber als ich die Sachen für meinen kleinen Neffen einpackte, wurde mir bewusst, dass ich nicht bereit war, zwölf Dollar für das Porto nach Phoenix auszugeben. Ich wusste, dass ich es im Postamt im Drugstore wesentlich billiger kriegen würde. Es war höchste Zeit, dem Laden wieder mal einen Besuch abzustatten, da ich ja immerhin zwei Dollar sparen konnte.
Als ich mich nun dem Schalter näherte, spürte ich, wie sich mein Herzschlag beschleunigte und mein Mund trocken wurde. Und dann war ich an der Reihe.
Sie sah auf. Und sie erkannte mich. Daran bestand kein Zweifel. Sie wusste ganz genau, wer ich war – die Zwei-Cent-Terroristin. Und ich wusste, dass sie die Böse Frau war. Ihre Lippen kräuselten sich verächtlich.
Aus dem Augenwinkel registrierte ich etwas. An ihrem Handgelenk. Etwas leuchtend Buntes, das eindeutig nagelneu war. Ihre Achillesferse.
»Das«, sagte ich und zeigte auf den Drachen in Rot und Orange mit der schwarzen Umrandung, »ist aber ein schönes Tattoo.«
Ehrlich gesagt hatte mich der Anblick zutiefst schockiert. Es gibt gewiss nicht allzu viele koreanische Postangestellte mittleren Alters, die sich mittelalterliche Symbole in die Haut stechen lassen, aber hier stand ein Exemplar leibhaftig vor mir.
Sie blickte auf das Tattoo hinunter, und wir beide wussten, dass es kein Entkommen gab.
Ein winziges Lächeln deutete sich auf ihren Zügen an.
»Danke«, sagte sie.
»Gern geschehen«, erwiderte ich. »Und so schöne Farben.«
»Finde ich auch«, meinte sie. »Normal oder per Eilpost?«
»Eilpost«, antwortete ich. Ich wollte ihr zeigen, dass ich die Dienste der amerikanischen Post sehr ernst nahm.
»Enthält das Päckchen verderbliche Waren, Flüssigkeiten oder verbotene Substanzen?«, fragte sie weiter.
»Nein«, antwortete ich fröhlich. »Nur Jungenunterwäsche.«
Super!, dachte ich in diesem Moment. Wenn ich später heimkomme, trägt die Polizei wahrscheinlich gerade meinen beschlagnahmten Computer aus dem Haus. Aber sie zuckte mit keiner Wimper.
»Schönen Tag noch«, flötete ich und ging.
Unsere Begegnung war friedlich verlaufen, aber als ich später nach Hause kam, rief ich online den Sendungsverlauf meines Päckchens auf, um sicher zu sein, dass es überhaupt auf dem Weg war. Immerhin war unser neu gewonnenes Vertrauensverhältnis noch ganz frisch und fragil und konnte jederzeit wieder kippen. Ich hatte keine knappe halbe Stunde damit zugebracht, in einem Outlet für Mami und Kind nach 2.-Wahl-Unterhosen zu stöbern, nur damit die Lady auf dem Postamt mein Päckchen als Racheakt eine Woche lang unter ihrem Tresen deponierte. Insgeheim hoffte sie wahrscheinlich darauf, dass ich meinem Mann ein Päckchen geröstete Maiskörner in den Knast schickte, weil er nach dem Knochenjob mit seiner Sträflingskolonne in Louisiana immer so Lust auf einen herzhaften Snack bekam. Ich meine, diese Frau war Koreanerin mittleren Alters mit einem flammend rotorangefarbenen Drachen auf dem Handgelenk, die mich aus ihrem Postamt verbannt hatte, nur weil ich für acht Dollar Zwei-Cent-Briefmarken hatte kaufen wollen. Wer weiß, wozu sie sonst noch imstande war?
Aber wenig später ging ich wieder hin, und diesmal hatte ich zwei Päckchen aufzugeben. Beide per Eilpost. Mit Sendungsverfolgung. Ich machte keine halben Sachen.
Gerade als die Dame das Etikett auf das zweite Päckchen kleben wollte, rief jemand aus der Fotoabteilung herüber, sie werde am Telefon verlangt. Ich sah, wie ihr die Züge entglitten, als sie von ihrem Kollegen erfuhr, dass es um ihre Tochter ging.
»Könnten Sie vielleicht eine Minute warten?«, fragte sie. Ihr Gesicht war aschfahl
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