Wege des Herzens
in Großbritannien und zu einem in Deutschland geführt hatte. Diese Reisen waren allesamt sehr anstrengend gewesen; lange, ermüdende Stunden hatte sie damit verbracht, sich Einrichtungen anzusehen, die für ihr eigenes Projekt weder wichtig noch maßgeblich waren. Und dabei hatte sie sich unzählige Notizen gemacht, aufmunternd genickt, hier murmelnd Zustimmung signalisiert, dort Fragen gestellt.
Mal wurde gespart, dann wieder das Geld zum Fenster hinausgeworfen. Einerseits wurde zu wenig, andererseits zu viel geplant, oder man begnügte sich einfach mit den Strukturen, die bereits vorhanden waren. Nichts davon hatte Clara jedoch besonders überzeugt. Ganz zu schweigen von so idiotischen Einfällen wie der Entscheidung, ein Herzzentrum in den dritten Stock zu verlegen, noch dazu ohne Aufzüge, oder der Tatsache, dass sich das Pflegepersonal nur gelegentlich und unregelmäßig blicken ließ. Auch die Aktenberge waren auf das Doppelte angewachsen. Andererseits hatte Clara aber auch erlebt, wie viel Hoffnung und Vertrauen die Patienten hatten, wenn sie das Gefühl bekamen, tatsächlich mit ihrer Krankheit umgehen zu lernen. Doch sicher konnte man so etwas auch in jeder guten Allgemeinpraxis oder als ambulanter Patient erreichen.
Mit zwei verschiedenfarbigen Stiften hatte Clara notiert, was ihr bei ihren Besuchen gefallen und was sie für schlecht befunden hatte. So würde sie ihre Erfahrungen leichter zusammenfassen können. Ihr Blick fiel auf eine Akte, die mit »Personal« überschrieben war, eine Auswahl der Mitarbeiter, die sie zu ihrer Unterstützung einstellen konnte. Am dringendsten würde sie eine Diätassistentin und einen Physiotherapeuten brauchen, dazu wenigstens zwei ausgebildete kardiologische Schwestern und eine Fachkraft für die Blutabnahmen, außerdem zur allgemeinen Unterstützung einen Assistenzarzt oder eine Assistenzärztin, die ihr halbes Jahr Praktikum in der Kardiologie absolvierten; auch kämen sie nicht ohne ein gut funktionierendes Überweisungssystem von Fachärzten und dem Mutterkrankenhaus aus. Sie würden Interviews in der nationalen Presse und im Radio lancieren und generell verstärkt Öffentlichkeitsarbeit betreiben müssen.
Das alles war nichts Neues für sie, das hatte Clara bereits früher organisiert, damals, als sie noch eine Spitzenposition gehabt hatte und auf dem Weg nach oben gewesen war. Oder zumindest gedacht hatte, es zu sein. Trotzdem, die Arbeit musste getan werden, und sie würde ihr Bestes geben. Was hätte es sonst für einen Sinn?
Seufzend machte Clara sich daran, die Akten durchzuarbeiten.
Lavender. Was für ein Name für eine Diätassistentin. Aber ihr Lebenslauf machte einen guten Eindruck, und sie wollte sich auf gesunde Ernährung für Herzpatienten spezialisieren. Die Frau schien jung, aufgeschlossen und begeisterungsfähig zu sein. Clara machte einen Haken neben ihren Namen und griff zum Telefon. Wenn, dann konnte sie ebenso gut gleich heute Abend damit anfangen. Es war zwar schon nach neun Uhr, aber es war eine Handynummer, und das Mobiltelefon war sicher in Griffweite.
»Lavender? Hier Clara Casey. Ich hoffe, ich rufe nicht zu spät an …«
»Nein, natürlich nicht, Dr.Casey. Es freut mich, von Ihnen zu hören.«
»Vielleicht könnten Sie morgen mal auf einen Sprung bei mir im Zentrum vorbeischauen, und wir könnten uns ein wenig unterhalten. Es gibt dort einen kleinen Besprechungsraum. Wann würde es Ihnen denn am besten passen?«
»Morgen arbeite ich von zu Hause aus, also ist mir jede Zeit recht.«
Sie einigten sich auf zehn Uhr vormittags.
Jetzt musste Clara sich noch für einen Physiotherapeuten entscheiden, aber sie wusste nicht genau, für wie viele Stunden in der Woche sie dessen Dienste benötigen würde. Clara blätterte die Bewerbungen durch, um zu sehen, wer für eine Teilzeitstelle überhaupt in Frage kam. Dabei fiel ihr ein großes, grobschlächtiges Gesicht auf – ein richtiger Quadratschädel, bodenständig, verlässlich, wenn auch nicht gerade attraktiv. Der Mann sah aus wie ein ehemaliger Boxer, aber irgendetwas an seiner Lebensgeschichte erregte Claras Neugier. Der Mann arbeitete vorwiegend in Sozialzentren und Clubs in der Innenstadt und hatte erst spät seine Ausbildung begonnen und abgeschlossen. Sein schiefes Grinsen gefiel Clara. Großartig, dachte sie, jetzt suche ich mir die Leute schon nach ihrem Aussehen aus.
Er meldete sich beim ersten Klingeln seines Handys. »Hier Johnny«, sagte er.
Clara Casey erklärte ihr
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