Wege des Herzens
tatsächlich gegangen, weil sie ›Geh!‹ gesagt hat?« Cinta konnte es nicht glauben.
»Gott, Cinta, was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen? Ihr an die Kehle springen?«
»Du hast gesagt, du würdest sie um die Scheidung bitten.«
»Und das habe ich getan … ich habe sie gebeten. Früher oder später werden wir geschieden. So will es das Gesetz.«
»Aber nicht, bevor das Baby auf der Welt ist.«
»Ist es denn so wichtig, wann ich geschieden werde? Wir werden schließlich beide für das Baby da sein. Ist das denn nicht viel wichtiger?«
»Also keine Hochzeit?«
»Nicht sofort jedenfalls. Später kannst du die größte und prächtigste Hochzeit auf der Welt haben.«
»Okay, dann später.«
»Was?«
»Ich habe gesagt, es ist in Ordnung. Es ist hart für dich.
Ich
werde nicht an dir herumnörgeln. Warum kommst du nicht mit dem Wein vorbei, den du ihr mitbringen wolltest, und wir trinken ihn zusammen?«
»Ich habe ihn dort gelassen.«
»Du hast ihr den Wein gegeben und bist ohne Scheidung wieder abgezogen? Was bist du nur für ein Feigling, Alan?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Alan Casey wahrheitsgemäß.
Clara hatte Alan in ihrem ersten Jahr als Medizinstudentin kennengelernt, und er hatte gerade das erste Jahr in einer Bank hinter sich.
Wahrscheinlich gab es nur wenige Menschen auf der Welt, die für eine Bank arbeiteten und es in der Zeit nicht zu Geld brachten, wie Claras Mutter immer zu sagen pflegte. Doch Alan Casey war einer von ihnen. Blauäugig, wie er war, ließ er sich nur zu gern auf spekulative und riskante Geldanlagen ein, weshalb das junge Paar materiell nie gutgestellt war. Alan hatte regelmäßig das Nachsehen, wenn es ums große Geschäft ging. Clara hingegen legte konsequent jeden Monat einen Teil ihres Gehalts auf die Seite und verschloss ansonsten die Ohren vor den ungebetenen Ratschlägen ihrer Mutter und ihrer Freunde. Das war ihr Leben, und ihre Entscheidungen gingen niemanden etwas an.
Trotzdem war Alan stets derjenige mit den größeren Ambitionen gewesen: Genug war ihm nie genug, und es musste immer mehr sein. Das bezog sich auch auf Frauen. Eine Zeitlang tat Clara so, als sei sie blind und taub, doch irgendwann wurde das immer schwieriger, und so stellte sie sich der Situation.
Nachdem Clara und Alan sich offiziell getrennt hatten, legte Clara großen Wert darauf, dass bei ihr zu Hause in jedem Zimmer ein Schreibtisch und Bücherregale standen. So konnten sie und ihre Töchter in ihrem eigenen Reich arbeiten, ohne die anderen zu stören. Das Erdgeschoss hingegen gehörte allen. Claras Zimmer war kühl und elegant eingerichtet. Auf der einen Seite standen ihr Bett, ein Frisiertisch und ein großer Kleiderschrank, während die andere Hälfte als Arbeitszimmer diente, mit hochwertigen Möbeln ausgestattet war und sehr edel wirkte. Ein bequemer Schreibtischstuhl aus Leder und Designerlampen vervollständigten diesen Eindruck. Clara öffnete eine Schublade und holte einen dicken Ordner mit der Aufschrift »Zentrum« heraus. Drei Wochen lang hatte sie es vermieden, auch nur einen Blick darauf zu werfen, denn damit war zu sehr die Erkenntnis all dessen verbunden, was sie verloren und welchen winzigen Trost sie im Gegenzug dafür erhalten hatte. Doch heute Abend würde sie die Sache in Angriff nehmen – aber vielleicht erst nach den Neun-Uhr-Nachrichten.
Als das große Kaufhaus damals Fernsehapparate im Sonderangebot gehabt hatte, hatte Clara gleich drei davon gekauft. Sie würde sich wie eine exzentrische Millionärin benehmen, hatten die Mädchen ihr vorgeworfen, doch in Claras Augen hatte sich die Investition mehr als gelohnt. So konnte Adi ihre Sendungen über den apokalyptischen Niedergang des Planeten, Linda ihre Pop-Shows und sie in aller Ruhe einen Kostümfilm anschauen.
Clara griff nach der Fernbedienung, aber dann fiel ihr wieder ein, was Dr.Morrissey darüber gesagt hatte, dass wir nie um Ausreden verlegen wären, wenn es darum ging, uns von unseren Sorgen abzulenken. Es war fast so, als wollten wir
nicht
auf den Luxus verzichten, uns zu ärgern. Also öffnete Clara stattdessen die große Box und begutachtete ihr akkurates Ablagesystem. Hier hatte sie alles, was im Zusammenhang mit der ambulanten Herzklinik stand, dokumentiert und gesammelt: deren Zielsetzung, Finanzierung und wie ihre eigene Rolle als leitende Direktorin definiert war. Hier befanden sich auch die Berichte über ihre Studienreisen, die sie zu vier Herzzentren in Irland, zu drei
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