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Wege des Herzens

Wege des Herzens

Titel: Wege des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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fragte Clara.
    »Ja, ich wohne über einem Restaurant und bekomme dort eine Mahlzeit am Tag.«
    »Haben Sie Freunde hier?«
    »Ein paar, ja.«
    »Könnten Sie denn Arbeit gebrauchen?«
    »Ja, Madam, ich brauche Arbeit.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Ania.«
    »Na, dann kommen Sie mal mit, Ania«, sagte Clara.
     
    Die Diskussionen mit den Bauarbeitern waren ermüdend und langwierig, und zu allem Überfluss erklärte der Polier Clara auch noch, dass sie ihre beabsichtigten Umbauten niemals von der Verwaltung genehmigt bekäme. Die Herren dort würden jede Veränderung hassen und fürchteten sich vor zu viel Licht und Luft. Sie bevorzugten kleine, verwinkelte Räume, wo man ungestört war. Also besorgte Clara Stoff für die Vorhänge zur Unterteilung der Kabinen, dazu Jalousien für die Fenster, ehe sie Kataloge mit Büromöbeln wälzte und die gewünschten Schreibtische und Aktenschränke markierte. Die Zeit verging wie im Flug.
    Während sie sich mit der Bürokratie herumschlug, war die junge Polin unermüdlich unterwegs. Clara hatte ihr ein Schreiben mitgegeben, in dem sie bestätigte, dass Ania Prasky in ihrem Auftrag handele, und in dem sie alle ihre Qualifikationen und Befugnisse aufführte. Dieser geballten Ladung an Kompetenz würde sich sicher niemand in den Weg stellen.
     
    Es war bereits vier Uhr nachmittags, und der Gedanke an eine Pause war ihr bisher noch nicht in den Sinn gekommen. Ania hatte gewiss auch noch nichts gegessen. Auf Claras Bitte hin kam sie sofort angerannt.
    »So, jetzt gibt es erst mal was zu essen«, erklärte Clara munter, doch über Anias Gesicht huschte ein Schatten der Besorgnis.
    »Nein, Madam, danke, aber ich arbeite weiter«, antwortete sie.
    »Etwas Leckeres zum Essen und ein starker Kaffee – danach arbeiten wir doppelt so gut.«
    Langsam wich der besorgte Ausdruck von Anias Gesicht. Clara würde für das Essen bezahlen, so dass sie ihren Tageslohn nicht opfern musste. Ania strahlte glücklich wie ein Kind.
    Als Claras Töchter Adi und Linda mit achtzehn, zwanzig Jahren durch die Welt gereist waren, hatten freundliche Menschen den Mädchen oft einen Platz zum Schlafen oder eine warme Mahlzeit angeboten, wenn sie nicht gewusst hatten, wohin. Man musste so etwas als eine Art Tauschgeschäft betrachten: Man war freundlich zu den Kindern anderer Eltern, die wiederum den eigenen Kindern halfen.
    »Komm, Ania, das gibt Haare auf der Brust.«
    »Tatsächlich?« Ania wirkte fassungslos.
    »Nein, keine echten Haare natürlich. Das sagt man bei uns nur so. Wissen Sie, was das bedeutet?«
    »Nein, eigentlich nicht, Madam.«
    »Na, dann werde ich versuchen, es Ihnen beim Essen zu erklären«, meinte Clara und griff nach ihrer Jacke.
     
    Frank konnte es nicht glauben, dass diese Frau bereits so schnell so viel in Angriff genommen hatte. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Formulare mit allen möglichen Anträgen, und er würde einen ganzen Tag brauchen, um seine Ablage zu erledigen. Und jetzt hatte er noch ein zusätzliches Problem. Frank hatte nämlich erfahren, dass eine junge polnische Frau mit großen, ängstlichen Augen dabei gesehen worden war, wie sie mindestens ein halbes Dutzend Mal irgendwelche Unterlagen in sein Büro geschleppt hatte. Diese Clara Casey schien in ihrem neuen Reich keinen Stein auf dem anderen lassen zu wollen. Auf ihrem Briefpapier – das sie anscheinend über Nacht hatte drucken lassen – stand neben jeder Anfrage oder Erklärung eine persönliche Notiz, in der sie sich entweder auf »unser Gespräch« oder »unsere Übereinkunft« bezog. Diese Frau machte ihn äußerst effektiv zum Erfüllungsgehilfen ihrer Expansionspläne. Entweder zog er auf der Stelle die Notbremse, bevor er mit ihr in den Abgrund gerissen wurde, oder er ließ sie gewähren. Frank konnte Frauen wie sie zwar nicht ausstehen – sie war eine richtige Emanze –, aber in ihr eine Verbündete im Krankenhaus zu haben, der ebenfalls daran lag, dass etwas vorwärtsging, war nicht zu verachten.
    Frank beschloss daher, ihr noch ein paar Tage Zeit zu geben, bevor er einschritt. In den nächsten achtundvierzig Stunden würde sie gewiss so spektakulär über ihr Ziel hinausschießen, dass es einem Selbstmord gleichkäme. In der Zwischenzeit würde Frank ihr zu seiner eigenen Rückversicherung einen vagen, nichtssagenden Brief schreiben, in dem er zum Ausdruck brachte, dass alle ihre Bestellungen selbstverständlich erst noch von der Klinikleitung bewilligt werden müssten.
     
    Barbara biss

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