Wege des Herzens
Anliegen. Aber klar doch, bis elf Uhr würde er es leicht schaffen. Kein Problem.
Das ließ sich ja gar nicht so schlecht an. Zwei Krankenschwestern standen zur engeren Auswahl, und Name und Telefonnummer eines Wachmanns befanden sich auch noch in der Akte. Er hieß Tim. Auch ihn rief Clara auf seinem Handy an. Mit leicht amerikanischem Akzent erklärte ihr eine Stimme, dass er umgehend zurückrufen würde. Wenn sie morgen anfing, die gesamte Klinik auf den Kopf zu stellen, würde sie jemanden brauchen, der für die Sicherheit des Gebäudes sorgte.
Zu ihrer Überraschung hörte Clara einen Schlüssel in der Tür und die Schritte ihrer beiden Töchter, die nach Hause zurückkamen. Ohne anzuklopfen, stürmten sie missgelaunt in ihr Zimmer. Ebenfalls eine Angewohnheit, die ihr in der letzten Zeit unangenehm auffiel.
»Was hat er gewollt?«, fragte Linda.
»Wer?«
»Dad.«
»Die Scheidung, er will wieder heiraten.«
Die Mädchen sahen einander an. »Und?«
»Ich habe ihn aus dem Haus geworfen.« Clara schien unbeeindruckt.
»Und, ist er gegangen?«
»Na ja, offensichtlich. Hattet ihr einen netten Abend? Nein? Er hat euch eine Flasche Wein dagelassen. Die könnt ihr euch gern teilen.«
Linda und Adi sahen einander verwirrt an. In dem Moment klingelte das Telefon ihrer Mutter.
»Oh, Tim, danke, dass Sie gleich zurückrufen. Nein, natürlich ist es nicht zu spät. Könnten Sie morgen vorbeikommen? Es geht um einen kleineren Sicherheitsjob. Ich werde einige Wände einreißen lassen, und ein paar Tage lang wird alles offen stehen, so dass rund um die Uhr jemand im Haus sein muss. Danach wird sich die Arbeit auf die üblichen Patrouillengänge beschränken. Schön. Sehr schön. Dann bis morgen.« Clara lächelte ihren Töchtern vage zu.
Adi und Linda wussten nicht, was sie davon halten sollten. Das Essen bei Quentins war nicht unbedingt ein Erfolg gewesen, ihr Vater würde ein Mädchen heiraten, das so alt war wie sie, und jetzt hatte es auch noch den Anschein, als hätte ihre Mutter den Verstand verloren.
Der nächste Vormittag verging wie im Flug. Die Vorstellungsgespräche verliefen bemerkenswert gut. Lavender, eine gepflegte Erscheinung Mitte vierzig, entpuppte sich als echter Profi mit realistischen Vorstellungen davon, wie häufig ihre Ernährungsberatung benötigt werden würde. Sie schlug deshalb vor, ein Mal in der Woche einen Kochkurs zu veranstalten. Während ihrer Arbeit in einer Londoner Klinik habe sie beste Erfahrungen damit gemacht, erzählte sie. Viele der Patienten wüssten nämlich nicht einmal, wie man Gemüse richtig kocht oder eine Suppe zubereitet, und waren immer wieder erstaunt, wie gut man sich gesund ernähren konnte. Nur auf eines legte die pragmatische Singlefrau Lavender Wert: Jedes Jahr im Januar und Februar nahm sie sich zwei Monate Auszeit und reiste nach Australien. Für eine Vertretung würde sie selbst sorgen. In zwei Wochen könne sie anfangen zu arbeiten, und sie würde Clara helfen, die Küche einzurichten.
Clara fand diesen Auftakt sehr ermutigend.
Johnny, der Physiotherapeut, war in der Tat groß und grobschlächtig, schien aber ein Herz aus Gold und ein unerschöpfliches Reservoir an Geduld zu haben. Er war der Ansicht, dass Herzpatienten einfach zu viele Filme gesehen hatten, in denen sich die Leute an die Brust fassten und in Sekunden tot zu Boden sanken. Deshalb hätten sie fürchterliche Angst, sich beim Sport zu überanstrengen, einen Herzinfarkt zu bekommen und daran zu sterben. Lieber nahmen sie es in Kauf, dass ihre Muskeln schlaff und schlaffer wurden. Ob Clara die Möglichkeit habe, die Patienten per EKG überwachen zu lassen, um ihre Fortschritte aufzuzeigen, wollte er wissen.
»Ich bezweifle, dass man mir diese Apparaturen bewilligen wird«, erwiderte Clara.
»Wir könnten uns doch dafür starkmachen«, sagte Johnny. Und damit war er eingestellt.
Tim, der Wachmann, hatte drei oder vier Jahre in New York gelebt. Er hatte drüben viel in Krankenhäusern gearbeitet und wusste deshalb bestens, worauf es bei dem Job ankam. In den kommenden Wochen könne er sich voll und ganz auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentrieren, da er hoffe, sich bald selbständig zu machen, und dafür brauche er ein paar zufriedene Kunden größeren Kalibers. Doch er wolle niemandem auf den Schlips treten, fügte er hastig hinzu.
»Warum greifen Sie eigentlich nicht auf die bereits bestehenden Sicherheitseinrichtungen des Krankenhauses zurück?«, fragte er
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