Wege des Herzens
unverblümt.
»Weil ich unabhängig bleiben will«, antwortete Clara ebenso direkt.
»Und werden Sie die Mittel dafür bekommen?«
»Ja, das heißt, falls Sie uns ein Angebot machen, das die Herren in der Verwaltung als angemessen betrachten. Sie haben gern das Gefühl, Geld zu sparen. Das ist das Einzige, was ihnen wichtig ist.«
»Es ist wirklich überall dasselbe«, erwiderte Tim pragmatisch.
»Warum sind Sie eigentlich aus Amerika wieder zurückgekommen?«
»Na ja, jeder, den ich dort kannte, hat vierzehn Stunden am Tag gearbeitet. Alle Leute, die ich hier kannte, trugen Designeranzüge und kauften sich Häuser in Spanien. Da dachte ich mir, ich komme lieber zurück und sehe zu, dass ich auch ein Stück vom Kuchen abbekomme. Was das angeht, bin ich auch nicht viel besser als die Herren in der Chefetage.«
»Sind Sie froh, dass Sie wieder hier sind?«
»Ich bin nicht ganz sicher«, gab er zu.
»Sie haben ja noch Zeit.« Clara fühlte sich irgendwie wohl in Gesellschaft dieses wortkargen Mannes.
Barbara, die erste der beiden Krankenschwestern, mit der Clara sprach, war genau der Typ, den auch sie in die engere Auswahl genommen hätte. Sie war aufgeschlossen, direkt und sehr gut informiert. Mühelos beantwortete sie Claras Routinefragen über spezielle Medikamente bei Herzerkrankungen und über das Schlaganfallrisiko bei Bluthochdruck.
Die zweite Frau war um einiges älter, jedoch kein bisschen weiser. Sie hieß Jacqui und buchstabierte ihren Namen sicherheitshalber zwei Mal, damit es kein Missverständnis gab. Fast im selben Atemzug fügte sie hinzu, dass sie sich nur deshalb um die Stelle bewarb, weil sie hier weder abends noch im Schichtdienst arbeiten müsse. Des Weiteren müssten bestehende Urlaubsregelungen übernommen werden, und mittags bräuchte sie eine Pause von eineinhalb Stunden, um ihren Hund spazieren zu führen. Dieser würde nämlich nur dann friedlich schlafend in ihrem Wagen auf sie warten, wenn er wusste, dass er auf seine ausgedehnten Spaziergänge nicht verzichten müsse. Pikiert fügte Jacqui hinzu, dass sie sich in ihrem gegenwärtigen Job manchmal wie in der Dritten Welt vorkäme, da sie den größten Teil ihrer Zeit damit verbrachte, sich irgendwelchen Ausländern gegenüber verständlich zu machen. Clara wusste vom ersten Moment an, dass diese Frau nicht in ihr Team passte.
»Bis wann werde ich von Ihnen hören?«, fragte Jacqui hochnäsig.
»Es stehen noch viele Bewerber auf meiner Liste. Ich gebe Ihnen in einer Woche Bescheid.« Clara verschwendete nicht viele Worte.
Wenig begeistert sah Jacqui sich um. »Sie haben hier ja noch einiges zu tun«, meinte sie.
»Richtig, aber liegt nicht gerade darin eine gewisse Herausforderung?« Clara spürte, wie das Lächeln auf ihrem Gesicht gefror.
Was sie jedoch wirklich dringend brauchte, war – wie Clara am nächsten Morgen feststellte – ein zusätzliches Paar Beine, gewissermaßen ein Mädchen für alles, das für sie die Laufarbeiten erledigte, hier ein leeres Formular abholte, dort ein ausgefülltes abgab und bei Bedarf die Bauarbeiter und Elektriker zusammentrommelte. Doch bisher hatte sich dieses Paar Beine noch nicht gefunden. Clara würde sich wohl oder übel selbst auf die Suche danach machen müssen. Der Zufall wollte es, dass sie auf dem Parkplatz fündig wurde, wo eine magere junge Frau mit langem, strähnigem Haar und einem Fensterleder in der Hand ihr anbot, ihre Windschutzscheibe zu putzen.
»Nein danke.« Clara lehnte freundlich, aber bestimmt ab. »Das ist ein schlechter Ort, um Geschäfte zu machen. Hier verkehren hauptsächlich Schwestern und Pfleger, denen es egal ist, wie ihr Auto aussieht, oder Patienten, die andere Sorgen haben, als auf so etwas zu achten.«
Die junge Frau schien sie nicht richtig zu verstehen. Sie strengte sich sichtlich an, um die Bedeutung von Claras Worten zu erfassen.
»Woher kommen Sie?«
»Ich
Polski
«, erwiderte das Mädchen.
»Ah, aus Polen sind Sie. Gefällt es Ihnen hier?«
»Ich glaube, ja.«
»Haben Sie Arbeit?«
»Nein. Keine feste Arbeit. Ich mache mal dies, mal das.« Dabei deutete sie auf das Fensterleder.
»Was sonst? Was machen Sie sonst noch?«
»Ich gehe zu den Leuten, spüle Geschirr und putze die Böden. Ich sammle die Blätter von den Bäumen in große Säcke. Dann sehe ich kleine Jungen, die Autofenster putzen, und ich denke mir, vielleicht …« Das Gesicht der jungen Frau war blass und schmal.
»Haben Sie denn wenigstens genug zu essen?«,
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