Wehe Dem, Der Boeses Tut
verstorbenen Onkels Ezra angerufen, nach jedem noch so kleinen Informationsbröckchen geforscht und gebetet, sie möge endlich einen hieb- und stichfesten Beweis dafür finden, dass sie die verschwundene kleine Prinzessin war – oder eben dafür, dass sie es nicht war. Ezra Nash, ein Anwalt, der für seine großzügige Auslegung des Gesetzes bekannt war, hatte seinerzeit die Adoption abgewickelt. Entweder hatte er sich um die Registrierung nicht gekümmert oder sie war vor langer Zeit vernichtet worden … Oder aber um ihre Geburt rankte sich ein Geheimnis, das er nicht preisgeben wollte.
Sie hatte versucht, sich nicht zu sehr von Vorfreude hinreißen zu lassen angesichts der Vorstellung, sie könnte endlich ihre wahre Identität entdecken. Schließlich, so sagte sie sich, standen die Chancen, dass sie die verschollene Erbin war, eins zu einer Million. Doch letztendlich war sie trotz allem ihrem Herzen gefolgt – dem Traum ihres Vaters – und mit ihrem zerbeulten Chevy westwärts nach Portland gefahren, Londons Heimatstadt. Sie war beinahe überzeugt, London Danvers zu sein, glaubte, sie werde nun endlich ihre Familie finden und man werde sie – nachdem sich der anfängliche Schock gelegt hatte – mit offenen Armen aufnehmen. Jetzt legte sie den Kopf schief und biss sich auf die Unterlippe, während sie ihre Zirkoniumohrringe ansteckte. Die tropfenförmigen Ohrhänger funkelten im Licht wie echte Diamanten und waren doch in Wahrheit billig und gewöhnlich.
Wie du.
Nein! Sie wollte nicht an die Gerüchte glauben, die sie ihr Leben lang in der Kleinstadt, in der sie aufgewachsen war, zu hören bekommen hatte. Nein!
Sie fuhr sich mit der Bürste durch ihre langen schwarzen Locken. ›Hexenhaar‹, so hatte ihre Stiefmutter die unbändige Mähne genannt, und zu Recht.
Ihr Plan war, die große Party zur Neueröffnung des Hotels Danvers zu sprengen. Es war an der Zeit, der Familie entgegenzutreten. Nach ihrem ersten Treffen mit Zachary Danvers im Ballsaal hatte sie mehrmals versucht, ihn telefonisch zu erreichen, doch ihre Anrufe waren nicht durchgestellt worden, und Zachary hatte auf die Nachrichten, die sie hinterließ, nicht reagiert. Bei den übrigen Familienmitgliedern versuchte sie es erst gar nicht. Über diese wusste sie zu viel, als dass sie ihnen hätte trauen können. Zachary war derjenige, der am wenigsten zu verlieren hatte, das einzige von Witts Kindern, das es aus eigener Kraft zu etwas gebracht hatte. Die anderen – Jason, Trisha und Nelson – hatten sich, wie aus den Zeitungsberichten hervorging, damit zufrieden gegeben, in Witts Schatten zu leben, sich seinem Willen zu beugen und wie Geier darauf zu warten, dass er starb.
Zach jedoch war anders, schon von Anfang an gewesen. Nicht von ungefähr war immer wieder über die Vaterschaft spekuliert worden. Er war mit dem Gesetz in Konflikt geraten und Gerüchten zufolge hatten er und sein alter Herr sich ständig in den Haaren gelegen. Irgendwann, als Zach noch zur Schule ging, war es zum großen Krach zwischen den beiden gekommen. Adria hatte nicht herausfinden können, was der Anlass des Zerwürfnisses war, doch Zach wurde aus dem Haus gewiesen und enterbt. Erst kurz vor Witts Tod war er wieder zu seiner Familie zurückgekehrt.
Dennoch schien sich Adrias Hoffnung, ihn als Verbündeten zu gewinnen, bisher nicht zu erfüllen. Also würde sie an diesem Abend ihre Ansprüche öffentlich geltend machen und so die Familie Danvers zwingen, sie zumindest zu beachten.
Sie war eine Betrügerin.
Zach roch einen Betrug auf Meilen gegen den Wind, und diese Frau, diese schwarzhaarige Fremde mit den geheimnisvollen dunklen Augen, die dreist lächelnd behauptete, sie sei London, war der sprichwörtliche falsche Fünfziger.
Dennoch ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. So sehr er sich auch bemühte, die Gedanken an sie von sich zu schieben – sie drängte doch immer wieder in sein Bewusstsein.
Als hätte die bevorstehende große Eröffnung ihm nicht schon genügend die Laune verdorben. Missmutig schenkte er sich an der Bar der Suite, die in den vergangenen paar Monaten sein Zuhause gewesen war, einen Drink ein. Dies waren dieselben Räume, in denen er in der Nacht, in der London gekidnappt wurde, hätte schlafen sollen. Allerdings sah die Suite im siebten Stock jetzt anders aus – sie war im Stil der Jahrhundertwende dekoriert, nicht mehr in dem der 1970er –, aber dennoch befielen ihn unheimliche Erinnerungen an jene Nacht. Witt hatte getobt,
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