Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
Herrschaft und Besitz, Gewalt und Krieg orientiert. Hier ist das Wunder der Menschwerdung, das aus dem Wagnis der Verletzlichkeit entsteht, überhaupt nichtdenkbar. Seine Augen sind blind für jenes Licht, das an Weihnachten aufleuchtet. Er könnte direkt neben der Krippe stehen und würde nichts sehen als ein alltägliches Ereignis, ein profanes neugeborenes Kind. In seiner Ordnung der Dinge gefangen, kann er die Zeichen jener anderen Ordnung nicht wahrnehmen, die mit der Geburt Jesu in Kraft ist. Die Krippe ist Herodes verschlossen, weil er blind ist für die Geburt Gottes im Menschen. Zu jener Humanität, für die das Weihnachtsfest steht, ist er nicht bereit und daher auch nicht fähig. Also braucht er seine Trojaner.
Allerdings geht diese Strategie nicht auf, denn seinem Politkalkül fehlt eine Größe, die eine ganz andere Macht verkörpert. Herodes hat nicht mit dem Auftreten von Engeln und mit der offenbarenden Kraft von Träumen gerechnet. »Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.« (Mt 2,12) Die Sterndeuter halten sich nicht an den Auftrag des Herodes, nachdem sie eine andere himmlische Botschaft erhört haben. Das bringt Herodes in die Bredouille. Er will kein Risiko eingehen. Deswegen versinkt er noch tiefer in seiner inhumanen Art, Politik zu betreiben. »Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig, und er ließ in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte.« (Mt 2,16)
Herodes folgt hier jener Utopie der Unverwundbarkeit, von der Achill und Siegfried in der klassischen Mythologie zeugen. Diese Utopie ist gefährlich. Sie bringt Herodes dazu, alle ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel einzusetzen, um in der Öffentlichkeit das Bild des Unverwundbaren aufrechtzuerhalten. Nichts und niemand kann seine Position antasten und seinen Thron ins Wanken bringen. Er hat Mittel und Wege, dies effektiv zu verhindern. Wenn es ihm gelingt, das Bild des Unverwundbaren zu wahren, kann er mit weniger Anschlägen rechnen. Niemand traut sich mehr, diesen Machthaber anzugreifen, der seine Spione überall hat und jederzeit mit Folter und Tod zugreifen kann.
Aber um dies zu bewirken, muss Herodes sehr drastisch vorgehen und brutale Gewalt ausüben. Der historische König ist nicht einmal davor zurückgeschreckt, seine eigenen Söhne vor Gericht zu bringen und ihre Hinrichtung herbeizuführen. Auch seine politische Konkurrentin und Ehefrau Mariamne hat er beseitigt (vgl. Baltrusch 2012, 306 ff). Sein Wunsch, unverwundbar zu sein und seine herrschaftliche, angesehene Position nicht zu verlieren, treibt ihn in eine Gewaltspirale hinein. Gewalt potenziert sich, das zeigt sich besonders deutlich in Diktaturen. Je brutaler der Diktator vorgeht, desto mehr Widerstand regt sich in seinem Volk. Dass Einzelne oder Staaten durch Waffen unverwundbar werden könnten, ist eine fatale Utopie. Sie erforderte unsägliche Opfer von unzähligen Menschen.
Die Bibel führt diesen Zusammenhang vor Augen. Um selbst nicht verwundet zu werden, verwundet Herodes andere Menschen. Das ist die Herodes-Strategie. Der Selbstschutz besteht nicht nur darin, einen Schutzwall zu bauen, sondern heimtückisch zur Waffe zu greifen. Nach Matthäus lässt er die vielen Kleinkinder von Betlehem niedermetzeln, um mit Sicherheit den Einen zu treffen, den er vernichten will. 3 In der Weihnachtsgeschichte gehören die getöteten Kinder zu seinem eigenen Volk. Und sie haben mit seinem Konflikt um den König der Juden nichts zu tun, sie sind in allem unschuldig. Dennoch werden sie umgebracht. Herodes raubt seinem Volk sehr gezielt das, was diesem Volk am Herzen liegt und heilig ist, die eigenen Kinder. Er trifft die Menschen dort, wo sie am tiefsten verwundbar sind.
Wer sich mit der Herodes-Strategie selbst zu schützen versucht, muss wissen, wo diese Anderen verwundbar sind. Man fragt nach der Verwundbarkeit der Anderen – nicht um sie zu schützen, sondern um sie zu treffen. Die Stelle, die verwundbar ist, wird attackiert. Dabei übersteigt der Angriff jedes Maß, denn Herodes »wurde sehr zornig« (Mt 2,16). Das Klagegeschrei ist entsprechend laut und herzzerreißend. Es erinnert an ein anderes Ereignis, von dem der Prophet Jeremia erzählt: »Ein Geschrei war in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weinte um ihre
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