Weihnachtsengel gibt es doch
Abendessen, das sie aß, während sie die Vorabausgabe eines bald erscheinenden Selbsthilfebuchs mit dem Titel Leidenschaftlich leben für schüchterne Leute las. Es war angefüllt mit Ratschlägen, die niemand bei klarem Verstand jemals annehmen würde. Wie zum Beispiel sich für einen Salsakurs anmelden oder an einer Berührungstherapie teilnehmen. Über solche Dinge zu lesen war so viel sicherer, als sie wirklich zu tun. Sich in einem Buch zu verlieren brachte ihre Welt normalerweise wieder ins Gleichgewicht, aber leider funktionierte es nicht immer. Als sie ihren Joghurt aufgegessen hatte, fühlte sie sich ausgesprochen beunruhigt. Das Thema des heutigen Treffens war das aktuelle Budget, und sie wusste, dass das keine guten Neuigkeiten bedeuten konnte.
Die Mitglieder des Büchereiausschusses trudelten nach und nach ein und richteten sich mit ihren Laptops und Aktentaschenim Konferenzraum ein. Alle vier erhoben sich, als Maureen sich zu ihnen gesellte, und blieben auf der anderen Seite des langen Tisches stehen, so ernst und konzentriert wie ein Erschießungskom mando.
Sie hängte ihren Mantel über die Rückenlehne eines Stuhls. „Es sieht nicht gut aus, oder?“
Ein unangenehmes Schweigen hing im Raum. Mr Shannon, der Präsident des Ausschusses, ließ seine gefalteten Hände auf ein offiziell aussehendes Dokument sinken. „Schlimmer als nicht gut. Wenn es uns nicht gelingt, noch einen Hasen aus dem Hut zu zaubern, sind wir erledigt. Diese Einrichtung wird zum Ende des Jahres geschlossen.“
„Bitte, Miss Davenport, setzen Sie sich doch“, sagte ein anderes Ausschussmitglied.
Sie ließ sich auf einen der stapelbaren Plastikstühle sinken und faltete ihre Hände im Schoß. Sie wusste, dass die Einrichtung schon seit Langem rote Zahlen schrieb. Daran hatte niemand Schuld, es war die Folge einer desaströsen, landesweiten Finanzkrise, zu der die steigenden Kosten und harten Zeiten in der Gegend das ihrige beigetragen hatten. Wenn die Einnahmen sanken, mussten harte Entscheidungen getroffen werden. Die Hauptgelder gingen an die Einrichtungen, bei denen es um Leben und Tod ging: Polizei, Feuerwehr, Rettungswagen. In Maureens Augen mochte die Bücherei ja lebensnotwenig für das Leben der Gemeinde sein, doch für viele Menschen, die sowieso schon überlastet waren, war sie entbehrlich.
Mr Shannon fasste das Dilemma inklusive der aktuellen Diskussion noch einmal zusammen. Nachdem das Originalgebäude niedergebrannt war, war die Bücherei von Mr Jeremiah Byrne neu aufgebaut worden. Das Gebäude und das Grundstück blieben im Besitz der Familie, doch Byrne hatte mit der Einrichtung einen Pachtvertrag mit einer 99-jährigen Laufzeit abgeschlossen. Nun war es an einem Mr WarrenByrne, die Laufzeit zu verlängern.
Und das wollte er, allerdings nur unter gewissen Bedingungen. Die Pacht würde erst verlängert, wenn die Bücherei sich selber tragen könnte. Das bedeutete, dass sie vor Ende des Jahres mit einem Budget für das nächste Jahr aufwarten mussten. Der Büchereiausschuss sicherte sich einen Zuschuss von der Stadt, und zusammen mit Spenden und öffentlichen Geldern schien die Krise eine Zeit lang abgewendet werden zu können. Doch der Zuschuss für das nächste Jahr war noch nicht durch, und die gesunkenen Steuereinnahmen hatten zu harten Einschnitten im Budget der Stadt geführt. Die Bücherei war abgeklemmt worden wie eine blutende Arterie.
Maureen versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was der Ausschussvorsitzende sagte. Doch ehrlich gesagt versuchte sie, alles zu hören außer dem, was er wirklich sagte.
„Wir haben kein Geld mehr“, konnte nur auf eine Weise interpretiert werden.
Das Herz wurde ihr schwer. Die Bücherei? Geschlossen? Es war unmöglich, sich Avalon ohne seine Bücherei vorzustellen. Die öffentliche Bibliothek war die geachtetste und anerkannteste Institution jeder Stadt. Und die von Avalon war immer etwas Besonderes gewesen. Nach dem Feuer, in dem der Junge umgekommen war, waren die am Boden zerstörten Einwohner der Stadt zusammengerückt und hatten das neue Gebäude zu einem Denkmal der Widerstandskraft gemacht. Für die nächsten neunundneunzig Jahre war dieser Ort ein so verlässlicher Anblick wie die Felsformationen rund um den Willow Lake. Doch das war eine Illusion. Bald würde ganz Avalon wissen, dass man das hundertjährige Bestehen der Bücherei mit der Ankündigung ihrer Schließung feiern würde.
„Ich wusste, dass es eine Budgetkrise gibt“, sagte sie und
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