Weihnachtsengel gibt es doch
endgültige Schließung der Bücherei kommen sehen müssen, aber sie hatte ihre Augen vor der Realität verschlossen.
Die Sorge drückte ihr schwer auf die Schultern, und sie dachte daran, eine der hoch dosierten Kopfschmerztabletten zu nehmen, die ihr Arzt ihr vor langer Zeit einmal verschrieben hatte. Sie litt unter unregelmäßigen, aber heftigen Migräneanfällen, die sie meist überfielen, wenn sie gereizt und gestresst war.
Als Erstes musste sie jedoch für heute abschließen. Sie hatte die Schlüssel schon in der Hand, als ein Schatten hinter ihr auftauchte.
„Jabez! Ich habe nicht bemerkt, dass noch jemand hier ist.“ Sie trat zur Seite, um den einzelnen Besucher vorbeizulassen.
„Tut mir leid, die Zeit ist nur so an mir vorbeigeflogen. Ich war im Leseraum ganz vertieft in etwas.“
„Willst du ein Buch ausleihen?“, bot sie an und rieb sichunbewusst die Schläfen.
„Nein“, sagte er. „Aber danke.“ Er machte eine Pause und sah sie aufmerksam an. „Wie geht es Ihnen, Miss Davenport?“
„Ich habe nur einen leichten Kopfschmerz, aber das wird schon wieder. Nett, dass du fragst. Wie behandelt Avalon dich bis jetzt?“
„Sehr gut“, versicherte er ihr. „Wir sehen uns.“ Mit einem Nicken verabschiedete er sich von ihr. Er hatte ein so hübsches Gesicht – die olivfarbene Haut und die riesigen Augen, die von dunklen Wimpern umrahmt wurden.
„Gute Nacht“, sagte Maureen und schaute ihm hinterher, wie er durch die Tür in den Winterabend hinaustrat. Für dieses Wetter war er nicht gerade passend angezogen mit seiner Armyjacke und den Stoffturnschuhen. Dennoch wirkte er durch und durch zufrieden, wie er da so gemächlichen Schrittes davonschlen derte.
„Hey, du hast etwas verloren“, rief sie ihm hinterher und bückte sich, um das Objekt aufzuheben. Es war ein Schlüssel an einem kleinen Stück Schnur.
Er kehrte um und nahm den Schlüssel. Als ihre Hände sich kurz berührten, merkte sie, dass seine Haut erstaunlich warm war. „Oh, danke“, sagte er. Dann setzte er seinen Weg in die Dämmerung fort.
Maureen ging zurück zu ihrem Schreibtisch, öffnete die Schublade und nahm das Fläschchen mit den Tabletten heraus. Sie zögerte, bevor sie es öffnete. Seltsam, die grauen Wolken der drohenden Kopfschmerzen waren verschwunden. Dankbar stellte sie die Tabletten wieder weg und machte ein wenig Ordnung auf ihrem Tisch. Ihr Büro war kaum mehr als eine kleine Kammer. In ihren Träumen hatte sie ein richtiges Büro, vielleicht sogar einen luftigen Raum irgendwo oben im Gebäude, in den das Licht hineinflutete und von wo aus sie sowohl ins Atrium hinunter als auch über das Grundstückdraußen schauen konnte. In ihrem Kopf hatte sie das Büro schon fertig entworfen und eingerichtet. Jetzt wünschte sie, sie hätte diese Zeit und Energie für etwas anders aufgewendet.
„Genug ist genug“, sagte sie leise vor sich hin. „Es ist ja nicht so, als ob jemand gestorben wäre.“ Dennoch erkannte sie das Gefühl der Trauer, das ihr Herz schmerzen ließ. „Denk an etwas anderes“, befahl sie sich. „Ich könnte meine Rentenbeiträge für einen schönen Urlaub ausgeben. Ja, ein Urlaub, das ist genau das Richtige.“
Seit ihrem Collegesemester im Ausland, das in ihrem Kopf nur „die Katastrophe“ hieß, war sie nicht mehr irgendwo hingefahren. Sie musste irgendwo hin, um die schlechten Erinnerungen mit guten Erinnerungen zu übermalen. Ja, das würde sie tun. Direkt nach Neujahr. Sie würde sich einen Ort suchen, an dem sie auf dem weißen Sand unter einer nickenden Palme liegen könnte. In der warmen Brise würde sie die Stunden einfach verstreichen lassen, dicke Schmöker lesen und Drinks mit Papierschirmchen bestellen. Genau .
Sie schloss die Eingangstür hinter sich ab und eilte zu ihrem Auto. Auf dem Parkplatz hielt auf einmal eine schwarze Limousine neben ihr. Ein Mann stieg aus und kam mit wehendem Mantel auf sie zu. „Miss Davenport?“
„Hallo, Mr Byrne. Ich fürchte, die Bücherei ist für heute schon geschlossen.“
„Das sehe ich“, sagte er. Einen Moment lang schien seine Aufmerksamkeit von einer Gestalt am anderen Ende der Straße gefesselt zu werden, die die Schultern gegen die Kälte hochgezogen hatte und sich langsam entfernte. „Wer war das?“, fragte er.
„Ein Junge namens Jabez Cantor. Er ist neu in der Stadt.“
Mr Byrne runzelte die Stirn. „Er kam mir irgendwie bekannt vor …“ Dann schüttelte er leicht den Kopf. „Egal. Ich bin hier, weil ich mit
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