Weihnachtsengel gibt es doch
war. Was war das nur? Sie musste einen Weg finden, wie sie aufhören konnte, sich nach etwas zu sehnen, das sich außerhalb ihrer Reichweite befand.
„Alles bereit?“, fragte Logan und hob seinen Sohn hoch. „Dann los.“
„Yeah!“, sagte Charlie.
Daisy schulterte die Windeltasche, die die Größe eines kleinen Wohnwagens hatte. Dann ging sie noch ein letztes Mal durch alle Räume und stellte sicher, dass die Fenster fest verschlossen waren. Auch wenn sie nur über Nacht wegbleiben würde, fühlt es sich an wie ein Abschied für immer. Dummerchen, schalt sie sich und schluckte ein weiteres Stückchen Bedauern hinunter. Dann nahm sie sich den zusammengeklappten Buggy und folgte Logan nach draußen. Sie zog die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel zweimal im Schloss.
Für Charlie ist es der Himmel, rief sie sich auf dem Weg zum Bahnhof in Erinnerung. Und wenn er glücklich war, warsie es auch. Sein Wohlbefinden steuerte ihre Entscheidungen als Mutter. Am Bahnhof angekommen, packten sie alles wieder aus dem Auto aus. Mit einem Kleinkind zu verreisen war arbeitsintensiv, um es milde auszudrücken. „So müssen sich die Pioniere gefühlt haben, als sie ihre Wagen für den Zug in den Westen gepackt haben“, sagte sie und fegte mit der Hand ein paar Brotkrümel aus dem Buggy.
„Er ist halt ein Junge mit einer Menge Gepäck“, sagte Logan gut gelaunt. Er schnallte den Kleinen im Buggy fest, hängte die Taschen an den Griff und schob alles in Richtung Bahnsteig. Daisy flitzte noch mal schnell auf die Damentoilette. Sie stand einige Minuten vor dem Spiegel und versuchte, die aufsteigende Panik zu bekämpfen. Der Abend wird gut laufen, sagte sie sich. Dank Charlie waren die O’Donnells ihr gegenüber etwas aufgetaut. Hatten sie sich früher geweigert, ihr Enkelkind anzuerkennen, geschweige denn zu sehen, waren sie nun ganz begeisterte Großeltern geworden. Auch Logans Schwestern beteten den Kleinen an. Daisy würde einfach ein anderes Weihnachtsfest haben als sonst, im Kreise einer anderen Familie – einer, zu der sie nicht gehörte, sondern mit der sie nur durch einen ganz dummen Zufall verbunden war. Trotzdem würde der Abend gut werden. Sie würde so mit den Feierlichkeiten beschäftigt sein, dass sie gar keine Zeit hätte, sich zu wünschen, das Krippenspiel in der Herz-der-Berge-Kirche besuchen zu können. Gemeinsam mit den O’Donnells würde sie das erste Mal in ihrem Leben die Mitternachtsmesse besuchen. Sie fühlte sich wie eine Anthropologin, die eine exotische Kultur studierte.
Okay, dachte sie. Tief durchatmen.
Sie tupfte sich ihr Gesicht mit einem feuchten Papiertaschentuch ab und ging dann hinaus auf den Bahnsteig. Die Treppen zu dem Gleis hochzusteigen, auf dem der Zug fuhr, der sie von Avalon wegbringen würde, war schwerer als gedacht. Oben angekommen, sah sie ein Mädchen in himbeerfarbenenStrumpfhosen, modischen Stiefeln und einem kurzen Faltenrock mit Logan und Charlie flirten. Und wie sie flirtete – vor allem mit Logan. Auch wenn Daisy selber aus der Übung war, erinnerte sie sich doch noch an die Körpersprache. Man lehnte sich ein wenig vor, neigte den Kopf anmutig, berührte vielleicht sogar mit einem Finger die Lippen. Wenn ein Baby dabei war, so wie in diesem Fall, war man ganz entzückt darüber, wie süß es war, was den eigenen Charme nur noch verstärkte. Das flirtende Mädchen sah umwerfend aus und wusste das Beste daraus zu machen. Es hatte ein Aussehen, von dem die meisten Mädchen träumten – als wäre es direkt einem Modemagazin entstiegen.
Daisy verspürte einen Stich purer, heißer Eifersucht. Auch wenn sie sich sagte, dass sie keinen Grund hatte, eifersüchtig zu sein, nur weil ein wunderhübsches Mädchen mit Logan flirtete, konnte sie das Gefühl doch nicht abschütteln. Vielleicht – so versuchte sie sich einzureden – entsprang ihr Unbehagen ja nur ihrer Sorge um Charlie. Angenommen, Logan käme mit einer Frau zusammen, die keine Kinder mochte? Das wäre vollkommen inakzeptabel.
Oh, Daisy, dachte sie, hör auf, so ein Kontrollfreak zu sein.
Sie schlenderte zu Logan hinüber. „Hey, Jungs“, sagte sie. Okay, vielleicht stellte sie sich ein wenig näher zu Logan als üblich. Vielleicht war das Lächeln, mit dem sie das Mädchen bedachte, ein wenig territorial. Aber sie konnte nicht anders.
„Dann wünsche ich euch schöne Weihnachten“, sagte das Mädchen und trat einen Schritt zurück.
„Ja, dir auch“, erwiderte Logan so freundlich wie immer.
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