Weihnachtsengel gibt es doch
anderen Mitglieder der Kommune in bescheidenen Häusern auf Long Island, hörten öffentlichrechtliche Radiosender und sammelten herzfreundliche Kochrezepte. Und besuchten offenbar Bikram-Yoga-Kurse.
„Ich habe mir überlegt, vielleicht eine Website zu erstellen, um die Bilder der ganzen Welt zu zeigen“, fuhr Barb fort. „Eine offizielle Begegnung mit den Havens -Seite. Vielleicht wird das mein Projekt für das neue Jahr.“
Der spitze Stock erschien ihm von Minute zu Minute verlockender. Wieder einmal wünschte sich Eddie, er könnte die Weihnachtszeit von seiner Festplatte löschen.
Für ihn gab es keine verklärten Erinnerungen an gemeinsame Lieder am Klavier, Familienessen, mit Leckereien gefüllte Socken am Kamin und einen Baum, unter dem Geschenke lagen. Bei den meisten Menschen weckten die Geräusche und Gerüche der Feiertage wohlig warme Gefühle. Doch die Havens waren Weihnachten immer unterwegs gewesen. Seine Eltern waren der Meinung gewesen, dass es nicht nur die lukrativste Jahreszeit für ihr Business wäre, sondern auch die beste Möglichkeit, dem kapitalistischenKonsumterror aus dem Weg zu gehen. Im Laufe der Jahre hatten sie es geschafft, alles zu vermeiden, was Eddie auch nur ansatzweise dazu hätte bringen können, die Feiertage zu mögen. Seine Weihnachtserinnerungen bestanden aus langen Tagen auf Zug- und Busbahnhöfen oder in einem gemieteten VW-Bus; in Papier eingewickelten Mahlzeiten, die während der Fahrt gegessen wurden; seltsam riechenden Hotelzimmern; nicht zu wissen, welcher Tag es war – sogar an Weihnachten.
Das Lustige war, dass seine Eltern keine Ahnung hatten, wie lausig das für ein Kind war.
Er erinnerte sich noch lebhaft daran, gelangweilt aus dem Fenster des VW-Busses gestarrt zu haben. Der graue Himmel war an ihm vorbeigezogen wie ein Fluss durch die Städte, in denen er ein Fremder war. Er und seine Eltern traten jede Nacht woanders auf, suchten sich ihren Weg durch kleine Städte, wo ihr Auftritt ein großes Ereignis war.
„Begegnung mit den Havens“ war ein auf Eddie zugeschnittenes Programm. Seitdem er im Alter von sechs Jahren durch den Film berühmt geworden war, wurde er überall wiedererkannt. Unglücklicherweise diktierten die Gesetze der Physik und des Showbiz, dass dem rasanten Aufstieg ein ebenso steiler Fall folgte. Er war zu jung gewesen, um das alles zu verstehen, was vermutlich ein Segen war.
Für seine Mutter waren diese Reisen „ein großer Spaß“. Sie unterrichtete ihn selber, und oft sang und komponierte sie im Auto und nutzte die Lieder für Buchstabierübungen. Bis heute konnte Eddie beinahe jedes noch so komplizierte Wort aus dem Stegreif buchstabieren.
An einem typischen Tag unterwegs erwachte er in einem Motelzimmer mit abgetretenem Teppich; auf allen Tischen standen leere Flaschen und aufgerissene Packungen von Kopfschmerztabletten. Das Frühstück bestand normalerweise aus ein paar an der Tankstelle oder in einem kleinenSupermarkt gekauften Donuts, je nachdem, was von beidem ihr erster Halt des Tages war. Zu dieser Zeit gab es noch keine Mobiltelefone, also nutzte seine Mutter öffentliche Telefonzellen, um ihren jeweils nächsten Auftritt zu bestätigen.
Sein Vater kümmerte sich derweil um den Luftdruck und Ölstand des Wagens und tankte. Eddie aß die Donuts und manchmal noch eine Tüte salziger Erdnüsse, die er mit Milch oder Saft aus einer Pappverpackung hinunterspülte.
„Bei uns ist Weihnachten jedes Jahr anders“, erklärte seine Mutter, wenn sie mit einem strahlenden Lächeln vom Telefonieren zurückkam. „Ist doch toll, wie viel Spaß wir haben, oder?“
Er fand ziemlich schnell heraus, dass sie darauf keine Antwort erwartete. Während der Fahrt sangen sie oft zu dritt und übten die Nummern, die sie abends in Scranton, Saranac oder Stamford oder in einer der anderen Dutzend Städte auf ihrem Weg aufführen würden. Seine Mom machte sich die Haare, wozu sie sich große Wickler eindrehte und kurz vor dem Auftritt den Händetrockner an der nächsten Tankstelle zum Föhn umfunktionierte.
Die Orte ihrer Auftritte reichten von Aulen in Highschools über die Versammlungsräume der Knights of Columbus und kleine, kommunale Theater bis zu Country Clubs. Ihr Repertoire bestand aus den üblichen Weihnachtsliedern und dazwischen eingestreuten Sketchen seiner Eltern, die auch nach all den Jahren immer noch gut ankamen.
„Heute Abend laden wir Sie ein, einen Schritt zurückzutreten, tief durchzuatmen und sich an die einfachen
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