Weihnachtsengel gibt es doch
ruinieren. Ein Teil von ihr – und kein kleiner Teil – sehnte sich danach, weiterzumachen, so wie er es vorschlug. Auch wenn es sie beschämte, weinte sie und weinte. Und unternahm zu ihrem eigenen Entsetzen einen letzten Versuch, ihren Traum zu retten. „Heißt das, du wirst sie verlassen?“
Er erwiderte nichts. Das musste er auch nicht. Die Antwort stand klar und deutlich in seinem Gesicht.
Er drehte sich um und ging los.
„Warte“, sagte sie. „Warte.“
Er blieb stehen, kehrte um.
Sie hielt ihre Hand hoch, damit er nichts sagen würde. Dann ging sie fort, ließ ihn allein auf dem regennassen Bürgersteig stehen. Es war eine kleine, unbedeutende Geste. Aber sie wollte, dass sie diejenige war, die ging, nicht er.
Sie dachte, dass sie an diesem Tag die Mutter aller Herzschmerzen kennengelernt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es noch schlimmer kommen könnte.
Doch sie irrte sich. Der tiefste Abgrund, der größte Schmerz von allem, kam später.
Eine Woche nachdem sie ihn verlassen hatte, quälte sie sich an einem für diese Jahreszeit ungewöhnlich heißen, nebligen Tag aus dem Bett, um einen Panikanfall zu bekommen. Ihre Periode war ausgeblieben.
Nachdem sie hastig die Wochen überschlagen hatte, rannte sie zu einer Apotheke. Der Schwangerschaftstest bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Sie dachte, dass sie vorsichtig gewesen wären. Sie hatten verhütet. Aber irgendwie war ihnen ein Fehler unterlaufen.
Sie rief zu Hause an – ihre Schwester, ihre Stiefmutter –, aber legte jedes Mal auf, bevor das Telefon klingeln konnte. Sie wusste nicht, wie sie ihnen sagen sollte, was passiert war.Sie konnte es sich selber ja kaum erklären. Laut ausgesprochen klang die Geschichte so unglaublich erbärmlich. Ich hatte eine Affäre mit einem Mann, von dem ich nicht wusste, dass er verheiratet war. Und jetzt bin ich schwanger.
Sie fing an zu weinen und konnte nicht wieder aufhören. Vielleicht war das der Auslöser für das, was dann geschah. Vielleicht hatten die Liter an bitteren Tränen das eingeleitet, was der Arzt später eine unvollständige Einnistung nannte – ein häufiger Grund für Fehlgeburten. Immer noch weinend – es schien, als hätte sie seit Tagen nicht mehr damit aufgehört –, ging sie blutend und unter Krämpfen leidend in eine Klinik. Das neue Leben, kaum mehr als eine geheime Zellteilung, war auf einem Strom bitterer Tränen davongeflossen, bevor sie noch wirklich begriffen hatte, was passiert war.
Einige Stunden später hatte der Arzt ihr etwas gegen die Blutungen und die Schmerzen gegeben und ein Antibiotikum gespritzt. Er hatte sie freundlich angeschaut und gesagt: „Il n’était pas destiné.“
Ja, dem stimmte sie zu. Es hatte nicht sein sollen.
Danach war sie eine tote Frau, die die Straßen von Paris heimsuchte. Sie lebte in der schönsten, lebendigsten Stadt der Welt, und doch war sie nicht mehr als ein Wrack. Sie ertrug es nicht, in die Nähe der Orte zu gehen, die sie mit Jean-Luc besucht hatte. Und sie waren überall hingegangen. Sie ertrug es nicht, irgendetwas zu tun.
Maureen merkte, wie sie den Bezug zur Realität immer mehr verlor. Es handelte sich vermutlich um einen Nervenzusammenbruch. Und so hinterließ sie eine Nachricht beim Registrierbüro des Austauschprogramms, packte ihre Sachen und fuhr nach Hause. Sie hatte all ihre Ersparnisse eingesetzt, um in Paris studieren zu können. Als sie ging, nannte sie kaum noch einen Penny ihr Eigen, aber das war nicht ihr größter Verlust.
Sie hatte ihrer Familie nie davon erzählt. Alles, was sie sagte, war: „Paris war nicht das, was ich dachte. Ich gehöre hier hin.“ Renée ahnte wohl, dass es eine unglückliche Liebesgeschichte gegeben hatte, aber Maureen erzählte ihr so wenig wie möglich. Es war einfach zu schmerzhaft, darüber zu spre chen.
Zurück am College, hatte sie ihr Hauptfach geändert und damit auch ihre Träume. Sie musste einen Traum finden, der zu ihrem Leben passte – nicht zu dem Leben, was sie sich einst für sich erträumt hatte, sondern zu dem neuen Leben eines erwachsenen Menschen, dessen jugendliche Illusionen zerschmettert worden waren. Dieses neue Leben war eines, über das Maureen die Kontrolle hatte, in dem ihre Bestätigung nicht von anderen Leuten abhing. Sie wollte nicht länger auftreten und von anderen beurteilt werden. Himmel, was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie war keine Schauspielerin. Warum hatte sie jemals einen Beruf ausüben wollen, der
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