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Weihnachtsengel gibt es doch

Weihnachtsengel gibt es doch

Titel: Weihnachtsengel gibt es doch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Wiggs
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und auf die andere Seite des Mondes katapultiert. Sie nahm kaum wahr, was in ihren Kursen geschah – ein Konversationskurs Französisch, Aspekte von Samuel Becketts Warten auf Godot und Die Welt der Colette. Nicht ein einziges Wort oder Thema durchdrang die regenbogenfarbene Seifenblase ihrer Glückseligkeit. Mit dem Ergebnis, dass ihre bis dahin hervorragenden Noten rapide absackten.
    Es war ihr egal. Auf gar keinen Fall konnte sie sich über etwas so Banales wie Noten Gedanken machen, wenn sie doch diese monumentale, einzigartige Liebe mit Jean-Luc erlebte.
    Sie sprachen über diese Sachen, wenn sie nackt in den Armendes anderen lagen. Es war stets Nachmittag, und sie trafen sich immer in ihrer Wohnung, weil die nur eine Metrostation von der Bank entfernt lag, in der er arbeitete.
    Ja, er arbeitete in einer Bank, aber er hatte die Seele eines Künstlers. Ab und zu besuchte er eine ihrer Lesungen oder Vorstellungen. Dann erklärte er jedes Mal, dass sie ihn zu dem stolzesten Mann der Welt machte.
    Sie lagen gemeinsam in der durch die Fenster fallenden Nachmittagssonne, ihre Körper angenehm erschöpft vom Liebemachen. Sie sprachen in ernster Weise über das Wunder ihrer Liebe und das gnädige Schicksal, das sie zueinandergeführt hatte. Jedes Mal, wenn sie in seine Augen schaute, sah sie die Ewigkeit. Es stand außer Frage, wo sie leben würden. Hier in Paris, wo ein einziger Nachmittag in einem Museumsgarten zu der Liebe des Lebens erblüht war.
    Auch wenn sie es ihrer Familie noch nicht erzählt hatte, wusste sie, dass sie es verstehen würde. Sie hatte eine wundervolle Familie, die sie liebte und in allem, was sie tat, unterstützte. Sie konnte sich bereits vorstellen, wie es wäre, wenn sie sie besuchen kämen. In ihrem Kopf sah sie all die Orte vor sich, die sie mit ihnen besuchen würde: die Tuilerien und die Jeu de Paume, das Musée de Cluny und die Beaux Arts.
    Dank Jean-Luc war sie von einer schlichten Studentin, die das Leben in Paris kennenlernen wollte, zu jemandem geworden, der jede Minute des Tages in vollen Zügen genoss. Sie lernte, rohe Austern zu essen, Pastis zu trinken und mit ernster Miene Sätze zu sagen wie: „Du bist mein Ein und Alles.“
    In dem verwirrenden Strudel der ersten Wochen vergaß sie alles. Sie vergaß zum Beispiel, ihn nach seiner Familie zu fragen. Sie erzählte ihm alles über ihre Eltern und Geschwister. Er erzählte ihr nichts über seine, und es kam ihr nicht in den Sinn, sich darüber zu wundern. Sie fragte nicht, wieso er sie nie mit zu sich nach Hause nahm und warum ihre Stelldicheins immer am Nachmittag stattfanden.
    Nichts davon war wichtig. Nur Jean-Luc und ihn zu lieben und Paris im Herbst.
    Sogar als sie ihn eines Tages zufällig auf der Straße traf, in Begleitung einer hübschen Frau und zweier kleiner Kinder, begriff Maureen die Situation nicht sofort. Sie dachte, es wären Verwandte oder Kunden der Bank, in der er arbeitete.
    Erst als er die Frau auf den Mund küsste und von dem älteren Kind mit „Adieu, Papa“ verabschiedet wurde, zwang Maureen sich endlich, dem Offensichtlichen ins Auge zu sehen.
    Die Liebe zerbarst in tausend Stücke, die auf die Straße fielen, als sie sie überquerte, um ihn zur Rede zu stellen. Anfangs sah er Maureen nicht, weil er seiner Familie in ein wartendes Taxi half und ihnen nachwinkte, als sie sich in den starken Verkehr einfädelten. Maureen spürte jeden einzelnen Augenblick wie einen Schlag in die Magengrube.
    Als sie endlich vor ihm stand, da auf dem Bürgersteig vor der Crédit Lyonnais, war sie so verletzlich und ungeschützt wie ein Unfallopfer.
    Jean-Luc war ungerührt. Er hatte die Seelenruhe eines Roboters. Kurz musterte er ihr Gesicht und schenkte ihr dann ein charmantes Lächeln. „Maureen. Was für eine Überraschung.“
    „Ja“, stimmte sie zu, „was für eine Überraschung.“
    Er zeigte keine Spur von Reue, als er sagte: „Ich nehme an, du hast sie gesehen?“
    Einen wilden Moment lang stellte sie sich vor, er würde zusammenbrechen, vor ihr auf die Knie sinken, ihr erklären, dass er es nicht ertrüge, ohne sie, Maureen, zu sein; dass er allem den Rücken kehren würde, um an ihrer Seite zu leben. Sie stellte sich vor, wie er ihr sagte, ihre Liebe wäre zu stark, um verleugnet zu werden.
    Aber stattdessen sagte er: „Ich möchte mich gerne weiter mit dir treffen.“
    Abscheu erfüllte sie. Ihm gegenüber, aber auch sich selbst gegenüber, dass sie überhaupt in Betracht zog, das Leben seiner Kinder zu

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