Weihnachtskatze gesucht
in sich. Aber er machte sich gut in dem Gesteck, mit dem sie gerade die Säule dekorierte. Es war ein lukrativer Auftrag, den sie gut gebrauchen konnte. Sorgfältig befestigte sie das Schildchen mit ihrem Namen dran, so dass es unauffällig jene über die kreative Blumenbinderin informieren konnte, die sich dafür interessierten. Ein bisschen Pieksen und verharzte Finger waren ein kleines Übel, wenn man etwas Hübsches aus winterlichen Pflanzen herstellen wollte.
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete das Arrangement. Dann nickte sie zufrieden. Nicht kitschig, nicht friedhöflich, nicht alltäglich. Dem weihnachtlichen Wald nachempfunden, eine bizarr geformte Wurzel, Borke, Äste, Moos, besagter piekender Ilex, Wachskerzen, ein paar kleine Kristalle, die wie Eissplitter funkelten.
»In Ordnung so?«, fragte Salvia den Galeristen, der sich neben sie gestellt hatte und das geschmückte Buffet begutachtete.
»Nicht schlecht. Wenigstens nadelt es nicht.«
Ignorant! murrte Salvia innerlich, nickte aber nur und hielt den Mund. Solange der Mann ihre Rechnung bezahlte, durfte er auch dusselige Bemerkungen machen. |15| Obwohl sie von einem Galeristen, der mit allerlei Kunstwerken sein Geld verdiente, etwas mehr Geschmack erwartet hatte.
Ein Gedanke, der sie dazu verleitete, einen Blick auf die ausgestellten Bilder zu werfen. Bisher hatte sie die Galerie nur einmal besucht, nachdem der Inhaber in Rudolfs Blumenladen angerufen und um einen Tischschmuck für eine Ausstellung gebeten hatte. Der alte Rudolf war irgendwie mit ihm verbandelt, sonst hätte der Mann sicher nicht den Besitzer des schäbigen Eckladens beauftragt, sein nobles Etablissement zu dekorieren. Schnittblumen, zu kunstlosen Riechbesen zusammengebunden – das war Rudolfs Spezialität.
Bis vor ungefähr einem Jahr.
Seither war das Angebot origineller geworden.
Salvias Verdienst.
Sie lächelte und musterte die gerahmten Fotos, die an den weißen Wänden hingen. Steve Novell, so hatte sie der Einladung zur Vernissage entnommen, war der Fotograf, und sein Thema lautete »Leben und Tod«.
Überheblich wie alle Möchtegernkünstler, hatte sie gedacht. Immer gleich die ganz großen Themen mussten es sein.
Doch als sie sich so umschaute, ging ihr durch den Kopf, dass der Fotograf bei weitem kein Amateur war, sondern ein echter Künstler, aber das Motto seiner Werke hätte wohl besser »Tod und Verderben« gelautet. Genial war sicher sein Einfangen von Licht und Schatten, genial auch die Wahl seiner Motive. Aber, um Himmels willen, durch |16| was für eine Hölle war der Mann gegangen? Salvia biss sich auf die Lippen und betrachtete eine Aufnahme, die einen zerschossenen Tanklastwagen inmitten einer staubigen Wüste zeigte. Menschenleer, von kaltem Mondlicht beleuchtet. Ein einzelner Farbfleck – ein pinkfarbenes Tuch mit glitzernden Pailletten. Hatte er es extra an das verbogene, geschwärzte Metall drapiert oder so gefunden? Daneben Bilder von zerschossenen Häuserwänden im gnadenlosen Sonnenlicht, ein schmutziges Plüschtier, zerrissen. Trümmer, Hinterlassenschaften von Gewalt – doch keine Menschen. Aber der Tod war greifbar. Das Leben nicht.
Von Fotografie hatte sie wenig Ahnung, dennoch empfand sie Achtung vor dem, was sie sah. Gewagte Kompositionen waren es, die darauf schließen ließen, dass der Künstler nicht nur in der Lage war, körperlich höchst anstrengende Positionen einzunehmen, sondern wohl auch über eine grenzenlose Geduld verfügte. Schnappschüsse waren das nicht.
Aber dann blieb ihr Blick schon an einer ganz anderen Aufnahme hängen.
Hier passte es, das Thema.
Ein Friedhof. Ein sehr alter Friedhof, wie es schien. Die Steine verwittert, die Gräber verfallen, schiefe Kreuze, ein Engel mit gebrochenem Flügel – Sinnbilder der Vergänglichkeit. Und doch voller Leben. Junges Grün strebte an flechtenbesetztem Granit empor, weiße Blütensterne lugten unter geborstenen Grabplatten hervor, ein Eichhörnchen steckte seine Nase aus der düsteren Eibe, eine grüne Echse sonnte sich auf einer Inschrift.
|17| Fasziniert trat Salvia näher und besah sich die beiden anderen Fotografien daneben aufmerksam.
Je mehr Aufnahmen sie betrachtete, desto mehr vertiefte sich ihr Lächeln. Neben Geduld und Geschmeidigkeit und einer inneren Hölle besaß jener Steve Novell möglicherweise auch ein gerüttelt Maß an Humor. Diese Bilder erzählten Geschichten. Ganz richtig – Geschichten von Leben und Tod.
Dann erstarb Salvias Lächeln,
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