Weihnachtsmaerchen Fuer Kinder
Tante!«
»Ich habe euch doch früher schon erzählt, daß der Nikolaus um die Weihnachtszeit des Abends ein großes Feuer auf der Böllsteiner Höhe anzündet. Die Leute, die um den Odenwald herum wohnen, sehen das Feuer, das sich freilich von weitem nur wie ein großer Stern ausnimmt. Wenn sich nun die Kinder zu Bette legen, dann laufen sie noch vorher an das Fenster, heben den Vorhang auf, sehen hinauf nach dem Christkindfeuer und träumen dann die ganze Nacht von den schönen Sachen, die ihnen das Christkind bringen wird. Wer aber neugierig ist und zu lange hinschaut, der sieht auf einmal gar nichts mehr, und wenn endlich die Mama ruft: ›Geschwind, ins Bett hinein!‹ – so können sie es kaum noch finden. Am andern Morgen sehen sie zwar wieder, aber sie müssen doch noch sehr blinzeln und hüten sich wohl, am andern Abend wieder in das Christkindfeuer zu gucken.
Der kleinen Mathilde aber, von der ich euch nun erzählen will, ist es noch sonderbarer ergangen. Sie war sehr geschickt und lieb und folgsam, nur ein klein wenig naseweis, und wenn sie des Abends ins Bett sollte, konnte man sie kaum von dem Fenster wegbringen, weil sie immer wieder das Christkindfeuer sehen wollte. Lag sie dann unter der warmen Decke, so dachte sie immer noch an das Feuer und stellte sich vor, wie schön es da oben auf der Höhe bei dem Christkind sein müsse.
Eines Abends nun schien ihr das Feuer viel größer und heller als gewöhnlich zu sein; es sah gar nicht mehr aus wie ein Stern, sondern wie der Mond, wenn er im Herbst ganz groß und feurig über dem Rand der Berge auftaucht. Mathildchen legte sich zu Bett, nachdem sie lange in das Feuer gesehen, aber sie konnte nicht einschlafen und dachte immer wieder daran, wie es jetzt wohl da oben auf dem Böllstein aussehen möge. Sie hielt es nicht mehr aus, stand leise auf, zog ihre Strümpfe, Schuhe und Kleider wieder an und schlich sich unbemerkt hinaus vor die Türe, um das Feuer von da noch besser zu sehen.
Ach! dachte sie auf einmal, wenn ich auf den kleinen Berg hinter unserm Garten ginge, da müßte es noch schöner sein! Sie fürchtete sich gar nicht, lief auf den kleinen Berg und sah sich recht satt an dem hellen Glanz – dann wollte sie wieder nach Hause und in ihr Bettchen. Aber – aber von dem langen Sehen waren ihr die Augen ganz wie geblendet geworden; statt in den Garten kam sie auf ein Feld, rannte dann über eine Wiese, und auf einmal lief sie, ohne nur recht zu wollen, in den dunklen, dichten Wald hinein; sie hatte ihren Weg vollständig verloren und wußte gar nicht mehr, wo sie war. Von Angst getrieben, lief Mathildchen weiter und weiter, bis sie endlich ein ganz kleines Licht durch die Bäume schimmern sah.
Ach, dachte das kleine Mädchen, wo ein Licht ist, müssen doch auch Menschen sein, die mir wieder den Weg nach Hause zeigen, ich will nur immer darauf zugehen!
Sie merkte in ihrer Eile gar nicht, wie sie immer bergan lief, sondern freute sich nur, daß das Licht größer ward und ihr immer näher kam. Der Weg ward steiler, und zuletzt mußte sie atemlos stehenbleiben, denn sie konnte nicht mehr weiter. Nun schaute Mathildchen sich um, da blies ihr ein kalter Wind über die heiße Stirne, und ringsherum waren keine höheren Berge und keine Bäume mehr. Du lieber Himmel – am Ende war gar das Kind bis hinauf auf die Böllsteiner Höhe gerannt.
Dem Mathildchen zitterten die Knie vor Angst und Müdigkeit, aber sie konnte doch nicht da stehenbleiben, und so schlich sie denn langsam weiter, von einem Baumstamm zum andern, indem sie sich dahinter versteckt hielt, bis sie auf einmal wirklich am Rande des großen freien Platzes stand, der den Böllstein bedeckt.
Aber, Kinder, was hat sie da gesehen – das Mathildchen vergaß Müdigkeit und Angst und alles, es wußte gar nicht mehr, ob es schon im Himmel oder noch auf Erden war. Es starrte ganz verloren hinein in die Herrlichkeit, die sich da vor seinen Blicken ausbreitete.
Denkt euch, Kinder, das war die Nacht, in der das Christkindchen alles, was es das Jahr über zusammengeholt und mit den Engelchen gearbeitet hat, aufstellt und ausbreitet und dann auswählt, was es jedem von den kleinen und großen Leuten bringen will. Die Christbescherung für die ganze Welt stand hier auf einmal beieinander, und nun könnt ihr euch denken, wie das glitzerte und flimmerte, und wie Mathildchen ganz im Ernste glaubte, sie sei blind geworden, so sehr stach ihr all der Glanz in die Augen. Nun wußte sie auch, wovon der Wald
Weitere Kostenlose Bücher