Weihnachtsmord auf Sandhamn ( 2 Kurzkrimis )
geht’s gut«, nuschelte Gun. »Hab nur ein bisschen viel getrunken.«
Maria lächelte sie an. »Das gibt sich wieder. Gleich kommt der Kaffee.«
»Kann sein.« Gun nickte und wurde plötzlich ganz grün im Gesicht.
»Komm mit zur Toilette«, sagte Maria und stand auf. »Vielleicht geht es dir besser, wenn du dir das Gesicht mit kaltem Wasser wäschst.«
Als Gun zehn Minuten später von der Toilette kam, sah sie immer noch unglücklich aus, so als hätte sie nach all dem Essen und Trinken ein schlechtes Gewissen.
Maria wartete vor dem Waschraum auf sie. Sie lehnte mit dem Rücken an der Wand und musterte ihre Kollegin besorgt, als Gun die Tür öffnete.
»Wie ist es jetzt?«
»Geht schon wieder. Ich sollte es wirklich besser wissen, ich altes Weib. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist. Wahrscheinlich habe ich mir in der letzten Zeit zu viele Sorgen gemacht …«
Sie zuckte mit den Schultern, eine kleine, hilflose Geste.
Maria sah ihre Kollegin forschend an.
»Was meinst du? Worüber machst du dir Sorgen?«
Gun wippte auf den Fersen und machte ein unglückliches Gesicht.
»Jetzt ist sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden.«
Maria legte tröstend einen Arm um Guns Schulter.
»Mir kannst du es sagen. Wenn du möchtest.«
»Irgendwas stimmt nicht …«
Gun verstummte.
»Was stimmt nicht?«
Maria beugte sich vor.
»Ich weiß nicht …« Gun schwieg wieder. »Ach, vielleicht bilde ich es mir auch ein. Vergiss es einfach.«
Maria gab nicht auf. »Jetzt sag schon, was dich bedrückt.«
Gun stellte sich dicht neben Maria und raunte: »Die Zahlen im Jahresabschluss stimmen nicht. Ich habe den Fehler gesucht und bin auf eine Menge merkwürdiger Rechnungen gestoßen.« Sie blickte Maria ängstlich an.
»Rechnungen?«, wiederholte Maria. »Was denn für Rechnungen?«
Gun drehte sich abrupt um.
»Ich brauche frische Luft. Ich gehe mal einen Moment vor die Tür.«
Mit unsicheren Schritten steuerte sie auf den Ausgang zu.
»Möchtest du, dass ich mitkomme?«, rief Maria ihr nach.
Gun schüttelte den Kopf.
»Ich gehe lieber allein. Vergiss einfach, was ich gesagt habe, es war nichts.«
Maria folgte ihr mit dem Blick. Es sah Gun nicht ähnlich, so viel zu trinken, aber heute wirkte sie unruhig und nervös. Was hatte sie mit merkwürdigen Rechnungen gemeint? So schlimm konnte das doch wohl nicht sein?
Nachdenklich ging sie zurück ins Restaurant und setzte sich wieder. Peters Platz war leer, aber die Stimmung am Tisch schlug hohe Wellen. Einen Meter weiter stieß Lasse mit zwei Vertretern an. Er wirkte ziemlich betrunken, sein Gesicht war rot und er konnte schon nicht mehr deutlich sprechen.
Maria fühlte sich auch nicht mehr ganz nüchtern und beschloss, auf den Kognak zum Kaffee zu verzichten. Für heute reichte es mit dem Alkohol.
Gun ging mit unsicheren Schritten über den verharschten Schnee. Warum hatte sie nur so viel getrunken? Das tat sie sonst nie. Aber die Sorgen ließen ihr keine Ruhe, sie hatte schon mehrere Nächte lang wach gelegen und gegrübelt.
Plötzlich musste sie sich an einem Laternenmast festhalten, weil sich in ihrem Kopf alles drehte. Doch die kalte Luft tat ihr gut, nach einer Weile begann sie sich besser zu fühlen. Sie ließ den grauen Mast los und atmete ein paarmal tief durch.
Der lange Betonkai lag stumm vor ihr. Es war schon ziemlich dunkel, und das Licht, das aus den Fenstern des Restaurants fiel, reichte nicht weit, stattdessen herrschte eine dumpfe Winterdämmerung. Aber nach dem langen Essen war es richtig befreiend hier draußen. Es tat gut, den Lärm und die Wärme im Värdshus hinter sich zu lassen.
Gun trat näher an die Kante des Hafenbeckens heran und blickte hinunter aufs Wasser. Wenn sie sich recht erinnerte, lagen hier immer die Lotsenboote. Noch war der Hafen nicht zugefroren, aber lange konnte es bei dem derzeitigen Frost nicht mehr dauern. Es war vollkommen windstill, und sie ahnte ihr Spiegelbild auf der dunklen Wasseroberfläche ein paar Meter unter ihr.
Plötzlich hörte sie ein scharfes Geräusch und blickte sich erschrocken um.
War da jemand?
»Wann geht unser Schiff?« Peter war zurückgekommen und hatte sich wieder an den Tisch gesetzt. Jetzt sah er fragend zu Maria, die gerade ihren Kaffee ausgetrunken hatte.
»Um fünf.«
Maria war die Rolle der inoffiziellen Reiseleiterin zugefallen. Der starke Kaffee hatte sie ein wenig nüchterner gemacht, und sie sehnte sich nach einem erfrischenden Spaziergang, ehe es
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