Weihnachtszauber 01
leise.
„Sie lügen. Oder Sie kennen die Wahrheit nicht“, stellte Clara fest.
Sie bemühte sich nicht, ihren Kummer zu verbergen. In ihrem Unglück war sie so offen und ehrlich wie in allem anderen auch. Sebastian liebte sie dafür nur noch mehr.
„Schauen Sie mich an!“, forderte sie und wandte sich um.
Er gehorchte.
„Ich hatte unrecht“, fuhr Clara mit bebender Stimme fort, „als ich Sie einst kaltherzig schalt. Ihr Herz ist eine Wüste, ein kahler, trostloser, ausgetrockneter Ort, an dem nichts gedeihen kann.“
Er konnte ihrem Blick nicht länger standhalten. Abrupt drehte er sich zum Fenster um, starrte in die Nacht hinaus. Draußen war es so finster wie in seinem Inneren.
Schmerzerfüllt lauschte er auf die sich entfernenden Schritte. Die Tür fiel ins Schloss.
Clara musste jetzt im Flur sein. Gut!
Als Sebastian endlich aus seiner Starre erwachte, fiel sein Blick auf den Spiegel, der in der Nähe des Kamins hing. Ein fremdes Gesicht starrte ihn an. Das Gesicht eines gebrochenen Mannes.
Er hatte Clara zutiefst verletzt. Das war unverzeihlich. Doch immerhin war es ihm gelungen, sie zum Gehen zu bewegen. Dadurch hatte er erreicht, dass zumindest der letzte Rest seiner Schutzmauer bestehen blieb. Er brauchte keine Angst zu haben, Clara zu lieben und sie dann zu verlieren, so wie er Oliver und dann auch seine Eltern verloren hatte.
Eigentlich müsste ich erleichtert sein, dachte er. Doch stattdessen hatte er das Gefühl, man habe ihn in einer Wüste ausgesetzt, die noch trostloser war als die, von der Clara gesprochen hatte.
„Miss Davencourt? Miss Davencourt!“
Clara eilte auf die Vordertür zu, was dadurch erschwert wurde, dass sie durch den Schleier von Tränen kaum etwas sehen konnte. Sie stolperte über eine Ecke des Perserteppichs, griff Halt suchend nach einem kleinen Tisch und hätte dabei fast die kostbare Vase umgeworfen, die darauf stand.
„Miss Davencourt!“
Jemand hielt sie fürsorglich am Arm fest, und sie fand das Gleichgewicht wieder.
Undeutlich sah sie Perch, der sie mitfühlend anschaute. Seltsam, nie zuvor war ihr aufgefallen, dass er so gütige Augen hatte. Dann bemerkte sie, dass die Tür zum Dienstbotenflügel des Hauses geöffnet war und dass mehrere Lakaien und Dienstmädchen dort standen. Ihre Gesichter trugen ausnahmslos einen halb ängstlichen, halb erwartungsvollen Ausdruck.
„Was, um Himmels willen, ist los?“, fragte Clara, von ihrer natürlichen Neugier getrieben.
Der Butler führte sie ins Speisezimmer, und die Dienstboten folgten. Viele von ihnen hielten Kerzen in den Händen. Das flackernde Licht gab dem ansonsten im Dunkeln liegenden Raum etwas Gespenstisches. Doch Clara hatte sich inzwischen so weit gefasst, dass sie keine Angst verspürte. Fragend schaute sie zu Perch hin.
„Verzeihen Sie, Miss Davencourt, wir ...“, es kostete ihn einige Überwindung fortzufahren, „... wir hatten gehofft, Sie hätten Seine Gnaden davon überzeugen können, dass ...“ Er musterte ihr Gesicht und schüttelte traurig den Kopf. „Verzeihen Sie. Es geht Ihnen nicht gut. Möchten Sie, dass ich Ihnen eine Droschke besorge?“
Unter den anderen Bediensteten entstand Unruhe. Offenbar hatten sie alle etwas auf dem Herzen. Dann trat eines der Hausmädchen vor, knickste und sagte errötend:
„Wir haben gehofft, Sie würden die neue Duchess of Fleet, Madam. Seine Gnaden ist in Sie verliebt, seit ich hier arbeite.“
Clara fühlte sich elend. Sebastian hatte ihr so wehgetan. Und nun musste sie auch noch sein Personal enttäuschen. „Es tut mir leid, ich werde nicht die neue Duchess sein.“
„Seine Gnaden hat wohl den Verstand verloren“, murmelte ein junger Mann und rollte mit den Augen.
Perch warf ihm einen warnenden Blick zu. Dann sagte er zu Clara gewandt: „Wir wären alle sehr glücklich gewesen, Sie zur Herrin zu bekommen.“
Erstaunlicherweise trösteten seine Worte Clara mehr, als sie für möglich gehalten hätte. Sie straffte die Schultern, blinzelte die letzten Tränen fort und betrachtete die vor ihr versammelten Menschen mit echtem Interesse. Da standen sie vom Butler bis hin zum Stiefeljungen, von der Haushälterin bis zum Küchenmädchen. Ja, selbst die Pferdeknechte und Gärtner schienen da zu sein. Wie außergewöhnlich, dass all diese Menschen ihre Hoffnung auf sie gesetzt hatten!
Und dann begriff sie. „Ich hätte es fast vergessen“, murmelte sie, „der Duke will ja morgen abreisen.“ Und lauter fuhr sie fort: „Hat er vor, das
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