Weil du fehlst (German Edition)
ließ mich in die Knie gehen, presste meine Stirn auf den harten Asphalt, ließ mich Darius‘ Hand loslassen. Die Wolke war wie immer wahnsinnig laut. Sie brüllte. In meinen Ohren. In mir. Überall.
»Kassandra!«, schrie Oyas Stimme dazwischen wie aus weiter Ferne. »Kassandra!«
Ich hatte das Gefühl, weinen, schreien zu müssen, aber ich war wie erstarrt, rührte mich nicht mehr. Versank nur in der tosend lauten Dunkelheit und presste den Mund fest zu.
Jemand streichelte meine Stirn, die heiß war. Oder kalt? Ich konnte es nicht richtig spüren. Wo war ich? Mühsam öffnete ich die Augen.
Da war Oya. Sie sah zu Tode erschrocken aus. Aber es war nicht ihre Hand, die mich gestreichelt hatte.
»Kassandra?«, fragte der fremde Mann. Seine Stimme klang besorgt und behutsam. Fast so, als spräche er mit einem sehr kleinen Kind.
»Kassandra? Geht es dir wieder besser?«
Ich schaute mich verwirrt um.
»Das ist das Schulbüro«, erklärte der Mann, der meinen Blick gesehen hatte. »Ich habe dich hochgetragen, nachdem du ohnmächtig geworden bist.«
»Ohnmächtig?«, flüsterte ich.
Oya und der fremde Mann nickten.
»Ich bin übrigens Elija Rosen, Oyas Ansprechlehrer und außerdem Vertrauenslehrer dieser Schule«, sagte Mr Rosen. Er lächelte mir zu. Sein Lächeln glitt von seinen Lippen und wärmte für Sekunden mein kaltes, schmerzendes Gesicht. Neben seinem Gesicht tauchten weitere Gesichter auf. Wie es aussah, gehörten sie den beiden Schulsekretärinnen.
»Wir erreichen die Mutter nicht«, sagte eine von ihnen eine Spur ungeduldig. »Nicht auf dem Festnetz und nicht mobil.«
»Du sollst ins Krankenhaus. Untersucht werden«, erklärte Oya leise. »Oh Kassandra, was war nur los mit dir? Du bist einfach so zusammengebrochen. Ohne einen Mucks von dir zu geben. Es war so – unheimlich.«
Die Wolke, dachte ich. Aber die Wolke war nur meine Wolke, nachts wie tagsüber. Außer mir sah und vor allem fühlte sie niemand.
Ich richtete mich auf.
»Ich … ich bin in Ordnung«, sagte ich, während sich ein eiserner Ring aus Gereiztheit um meinen Kopf legte, der mir Kopfschmerzen bereitete. Warum hatte mich mein Albtraum derart bloßgestellt? Wie konnte man einen solchen Traum am Tag träumen, während man die Augen offen hatte und bei vollem Bewusstsein war? Ich war mir sicher, nicht wirklich ohnmächtig gewesen zu sein. Es war wie nachts, nur dass ich da alleine war und dass ich da sowieso lag und nicht einknicken musste unter dem Druck der brüllenden, erstickenden Wolke. Ich war einfach still und benommen gewesen, weiter nichts. Vielleicht weggetreten, vor allem aber gelähmt vor Angst und Entsetzen.
»Ich bin wieder in Ordnung, wirklich«, wiederholte ich. Aber mein Wort genügte ihnen nicht. Sie schafften mich ins Krankenhaus. Mr Rosen ging links von mir, Oya rechts, während wir zum Lehrerparkplatz liefen. Zuerst dachte ich, sie wollten mich tatsächlich stützen, aber dann ließen sie mich doch alleine gehen.
»Du blutest an der Stirn«, erklärte Oya, während wir in Mr Rosens Auto stiegen. Eine der Sekretärinnen hatte mir ein Taschentuch in die Hand gedrückt, ehe wir das Büro verließen, und Oya tupfte damit vorsichtig gegen die Schürfwunde an meinem schmerzenden Kopf.
»Hattest du so was schon öfter? Und ist es in Ordnung für dich, dass ich dich ins Krankenhaus begleite?«, fragte Oyas Ansprechlehrer, der Vertrauenslehrer dieser Highschool. Wir fuhren vom Parkplatz auf den Highway.
Ich schüttelte den Kopf und nickte. Zwei Fragen, zwei Antworten.
Im Krankenhaus röntgen sie meinen Kopf und stellten mir Fragen. Zuerst fragten sie, ob Mr Rosen mein Vater sei.
Nein, war er nicht.
Nein, es gab, soweit ich wusste, keine Epilepsie in meiner Familie.
Der Tod meines Vaters? Nein, kein Hirntumor.
Nein, mir war nicht schwindelig gewesen. Nein, auch jetzt war mir nicht schwindelig.
Meine Reflexe, das Röntgenbild, meine Blutwerte, mein Gewicht. Alles war in Ordnung. Man schob es auf meinen Kreislauf, aber ich bekam dennoch einen Termin für eine gründliche Kernspin-Untersuchung in der kommenden Woche.
Dann durfte ich endlich gehen.
Mr Rosen fuhr uns nach Hause. Oya sollte mich begleiten und bei mir bleiben, bis meine Mutter zurück wäre.
»Gute Besserung«, sagte er zum Abschied und lächelte mir aufmunternd zu.
»Danke«, antwortete ich. Angekommen im Haus, trafen wir Rabea, die ebenfalls gerade nach Hause gekommen war. Ihre Augen sahen aus, als hätten sie geweint. Und das
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