Weil du mich beruehrst
Was in Gottes Namen war falsch an ihm? Er holte Luft und gab sich Mühe, die Kontrolle wiederzuerlangen. Er schloss den Mund und wartete, bis ihn niemand mehr beobachtete.
»Hast du Elise erzählt, was wir besprochen haben?«, wollte er nach dieser kurzen Pause von Lucien in einem nun gelasseneren, ruhigeren Ton wissen. »Hast du ihr von deinem Vorhaben erzählt, mit mir später einmal Gaines ’ Besitztümer zu besuchen?«
»Nein«, gestand Lucien. »Der einzige Grund, der mich daran gehindert hat, ist, dass sie es vermutlich umgehend Francesca erzählen würde, solange wir hier in Belford sind. Obwohl du mir bist jetzt gar nicht gesagt hast, dass du es absolut nicht möchtest, dass Francesca es erfährt, habe ich mir so etwas schon gedacht. Ich werde es Elise vermutlich im Flugzeug auf dem Rückweg nach Chicago erzählen.«
Ian blickte finster drein.
»Aus genau diesem Grund habe ich auch meinen Großeltern nichts erzählt. Sie würden es ihr vermutlich berichten … und sie bitten, mich zu retten oder irgendetwas ähnlich Albernes.«
Einen Moment lang sagte keiner der beiden etwas, sie sahen den anderen bei der Unterhaltung vor dem lodernden Feuer zu. Ians Körper versteifte sich, als Gerard sich Francesca näherte. Doch dann blickte sie auf und sah Ian direkt an. Ihre dunklen, glänzenden Augen trafen ihn mitten ins Herz, so wie immer. Sie wandte sich ab, als Elise sie ansprach.
»Bist du sicher, dass du weißt, was du tust?«, fragte Lucien mit leiser Stimme in seinem Rücken. Er wusste, sein Halbbruder hatte Francescas aufgeladenen Blick quer durch den Raum wahrgenommen. Oder wollte Lucien tatsächlich wissen, ob er noch die Kontrolle über sich selbst hatte – ob er noch bei klarem Verstand war? Ian entschloss sich Ersteres zu glauben. Die zweite Frage wäre zu verstörend gewesen, um sie genauer zu betrachten.
»Nein«, erwiderte Ian mit rauer Stimme. »Aber ich kann mich nicht von ihr fernhalten.«
»Ich glaube, du solltest dich entscheiden, wer den größeren Einfluss auf dein Wesen hat. Ich zumindest hoffe, dass es Francesca ist, und nicht Gaines«, sagte Lucien spitz, nahm seinen Drink und ging zu seiner Frau.
Ian zog eine Grimasse angesichts dieser Ermahnung. Als wäre es nur einfach eine Frage der Wahl zwischen Francesca und einem ekelhaften Perversen. Er hatte gedacht, Lucien hätte ihn verstanden – doch der Fairness halber musste er zugeben, dass er ihn vielleicht tatsächlich verstand. Zumindest besser als die meisten anderen. Lucien spürte Gaines ’ Makel ebenfalls. Doch in Luciens Lebenssystem war Gaines nicht so giftig wie in Ians … bei ihm war er etwas, was ausgetrieben werden musste, koste es, was es wolle. Er musste sich selbst von dem Dreck reinigen, bevor er Frieden fordern durfte.
Bevor er jemals hoffen durfte, Francesca zu fordern.
Es kostete ihn eine Menge Anstrengung, sich in diesen Tagen auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Das, was ihm sonst so leichtfiel wie atmen, war nun mühsam. Besonders in dieser Nacht.
Würde sie kommen?
Er saß am Schreibtisch in seiner Suite, noch immer mit der Smokinghose und dem Hemd bekleidet, die Fliege gelockert, und sah verschiedene Unterlagen durch, die Lin ihm zur Prüfung geschickt hatte. Sein Interesse an Noble Enterprises war seit seiner Rückkehr nach England stetig gestiegen und dennoch nur ein blasser Schatten des Engagements, das er früher gezeigt hatte. Vielleicht, weil er, als er Lin mit Fragen zu Francescas letzten Aktivitäten in Chicago überschüttet hatte, mitten in die Details der Angelegenheit geworfen worden war und anschließend mit allen Einzelheiten zur Tyake-Übernahme konfrontiert wurde.
Er ließ den Gedanken fallen und öffnete ein Dokument, das ihm Lin per E-Mail geschickt hatte mit dem Betreff: Die Übernahmepläne von Tyake durch Noble Enterprises werden bekannt . Er hatte die Mail bislang noch nicht gelesen, denn er war sich schon im Klaren darüber, dass sich die Geschichte verbreitet hatte. Jetzt öffnete er das Dokument, um die Zeit zu überbrücken. Augenblicklich tauchte ein Foto auf seinem Monitor auf, das Francesca beim Verlassen eines Fahrstuhls im Noble Tower zeigte, sein Großvater war am Rand der Aufnahme noch zu erkennen. Die Überschrift des Zeitungsartikels erwähnte, dass sich die Noble-Familie zur Übernahme von Tyake versammele, obwohl im ersten Abschnitt des Textes dann darauf hingewiesen wurde, dass Ian selbst erstaunlicherweise abwesend sei. Er sah auf das Erscheinungsdatum der Zeitung
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