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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Ich konnte fünf Wochen lang überhaupt nicht in die Schule gehen,
und als ich dann wieder hingegangen bin, die paar Tage, haben sie mich nur
angestarrt, und ich habe von allen Seiten Drohungen bekommen. Ausgerechnet ich!
Als ob ich Drohungen verdient hätte! Ich glaube, das
ist so ziemlich die teuerste Privatschule im ganzen Land. Für eine zweite
Chance muss man eben mehr bezahlen. Wir haben auch Sozialarbeit, da müssen wir
eine alte Ranch als Unterkunft für unterprivilegierte Kinder herrichten.
Letztendlich ist sie als Heim für die Katrina-Kinder gedacht. Die leben jetzt
in Houston in Banden. Meine Eltern sind noch zusammen. Diese Geschichte hat sie
richtig zusammengeschweißt. Es ist eigentlich, ich meine, irgendwie ist es
ironisch. Meine Mitbewohnerin ist echt nervig. Sie bildet sich ein, sie wäre so … Jeden Morgen geht ihr Wecker eine Stunde früher als nötig los – dit dit dit …
dit dit dit … dit dit dit –, damit sie ja noch beten kann. Haben Sie schon mal
versucht, in einem Zimmer zu schlafen, in dem jemand laut betet? Football ist
hier das große Ding. Ich möchte nur – ich meine, wenn ich hier rauskomme – ich
möchte nur so eins von diesen Häusern, wie ich sie vom Flugzeug aus gesehen
habe, mit dem weißen Beton und dem Swimmingpool hinten im Garten. Entweder das,
oder ich möchte Sängerin werden, wie J. Lo.
Ich habe mir gedacht, ich könnte mich ja einfach nur so nennen – Sienna.

Mike
    D er Skandal, der sich im Januar 2006 zutrug,
zerstörte mehrere Leben, unter anderem auch Mikes, wenn man überhaupt sagen
kann, dass ein Leben zu einem bestimmten Zeitpunkt zerstört wird. Mike hielt
den Verfall einer Persönlichkeit für einen längeren und langsam
fortschreitenden Prozess. Ein Zufallsbrief von einer Wissenschaftlerin der
Universität Vermont, die Mike im Zusammenhang mit einem
kulturwissenschaftlichen Forschungsprojekt über Alkoholkonsum und männliche
Verhaltensweisen an Sekundarschulen befragen wollte, hatte bei ihm trotz seiner
Entschlossenheit, das Schreiben zu ignorieren, das Bedürfnis geweckt, seine
eigene Geschichte zu Papier zu bringen. Zum Teil drängte es ihn dazu, weil er
Klarheit in die Sache bringen wollte, über die die Medien die wildesten
Berichte verbreitet hatten, zum Teil trieben ihn Gründe, die ihm selbst nicht
voll bewusst waren.
    Aus dem Exil, das beinahe zwei Jahre gedauert hatte, war Mike nach Vermont
zurückgekehrt, allerdings nicht an den Ort, an dem immer noch das Internat war,
sondern in ein Städtchen etwa vierzig Meilen weiter südlich, das, wenn auch
reizvoll, kaum noch eigenen Charakter besaß. Es gab in diesem Touristenmekka
nette Kneipen und ausgezeichnete Restaurants, eine florierende Buchhandlung
und, in diskreter Entfernung, ein Gewerbegebiet mit Designer-Outlets, alles
höchst geeignet, Mike eine gewisse Anonymität zu garantieren, die er in diesen
Zeiten über alles schätzte. Hätte er sich in einem ruhigeren Ort
niedergelassen, wäre er sofort als Fremder aufgefallen und hätte Aufmerksamkeit
erregt. In diesem Touristenort jedoch konnte er alles Mögliche sein – ein
Urlauber aus Baltimore, der gekommen war, um das Laub in seiner herbstlichen Pracht
zu bewundern, ein Ruheständler aus Providence, ein Shopper aus New York, der
bei Armani ein Schnäppchen zu finden hoffte. Hier konnte er auf den berühmten
(im Winter stark mit Salz gestreuten) Marmorgehwegen spazieren gehen, die Häuser
aus dem neunzehnten Jahrhundert bewundern, die den Anger säumten, und sich
dabei sicher sein, dass niemand ihm die geringste Beachtung zollte. Es war
natürlich immer möglich, dass jemand ihn erkannte, da er nach dem Skandal
mehrmals vom Fernsehen interviewt worden war.
    Mike hatte hellbraunes Haar, das einmal blond gewesen war, er war
mittelgroß und kurzsichtig, markant waren immerhin seine tief liegenden blauen
Augen. Je nachdem, wie er sich kleidete, konnte er für einen verkrachten
Immobilienmakler gehalten werden oder den Leiter einer Privatschule, der er ja
auch beinahe zwölf Jahre lang gewesen war.
    Er hatte ein Zimmer im größten Gasthof im Ort, einem zweistöckigen
Bau im klassischen Stil der Federal Period. Weiß getüncht und mit grünen Läden
hätte das Haus als eines der Universitätsgebäude des Dartmouth-College
durchgehen können. In der obersten Etage hatte es zwei große Dachgauben mit
rundherum verglasten Wänden, die beiden Zimmer thronten wie Glasvitrinen auf
dem Dach. Rein zufällig war Mike an einem Montag angekommen, als viele

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