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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Silas schon seit geraumer Zeit tot war und
nichts, nicht einmal der Atem seiner Mutter, ihn ins Leben zurückholen konnte.
    Owen glaubte, dass Anna, wenn sie schließlich aufgab,
zusammenbrechen und nie wieder aufstehen würde, doch sie tat etwas, das er
niemals vergessen würde. Sie küsste Silas’ Gesicht und dann öffnete sie den Reißverschluss
seines Parka, als könnte ihm in dem überheizten Esszimmer zu warm darin sein.
Und während Owen dastand und im Stillen um sie und um Silas und um sich selbst
klagte, öffnete sie die Jacke und fand das Bündel Briefe, die Silas oben auf
dem Berg geschrieben hatte. Im ersten Moment glaubte Owen, es wären Briefe von
Silas an seine Mutter, und obwohl er allen Grund hatte, Anna zu hassen,
wünschte er es so sehr, weil er wusste, dass die Briefe ihr später helfen
würden. Aber es waren Briefe an Noelle. Und eigentlich keine richtigen Briefe,
sondern eher wirres Gerede. Später las Owen eine Seite, aber dann legte er die
Briefe weg. Sie waren nicht für ihn bestimmt, und Silas hätte nicht gewollt,
dass er sie sah.
    Dann kam jemand und brachte Silas ins Bestattungsinstitut. Es müsse
eine Obduktion vorgenommen werden, sagten sie, weil er keines natürlichen Todes
gestorben sei, dabei wusste doch jeder, dass er oben auf dem Berg erfroren war.
Owen war überzeugt, dass Silas selbst in der Dunkelheit hätte absteigen können,
er kannte seinen Sohn und er wusste, dass er das gekonnt hätte. Daher, sagte
sich Owen, hatte wohl etwas in Silas ihn daran gehindert, herunterzukommen,
hatte nicht gewollt, dass er in sein Leben zurückkehrte. Das war es, was Owen
am härtesten traf, und er wusste, dass der Schmerz wahrscheinlich nie vergehen
würde, denn er und Anna hätten Silas verziehen, sie hätten ihn in die Arme
geschlossen und ihn geliebt, ganz gleich, was geschehen war und geschehen wäre.
Vielleicht, dachte Owen, war das etwas, was man erst lernte, nachdem einem
genommen worden war, was man auf der Welt am meisten liebte. Was Silas getan
hatte, war nichts im Vergleich zu der Liebe, die Anna und Owen ihm gegeben
hätten. Owen wusste, dass Silas sich an einem jungen Mädchen vergangen hatte,
und Silas hätte teuer dafür bezahlt; aber Anna und Owen hätten ihn immer
geliebt und gestützt und am Leben erhalten, bis er allein hätte stehen können.
Ja, das hätten sie für ihren Sohn getan.
    Anna aber hatte das alles zugrunde gerichtet. Sie ging jetzt nicht
mehr aus dem Haus, weil sie Angst hatte, Jungen in Silas’ Alter zu sehen. Sie
hatte nach Kanada ziehen wollen, aber das brachte Owen nicht über sich. Nie
lief der Fernsehapparat. Nie ging Anna ans Telefon. Owen musste dem
Zeitungsjungen sagen, er solle nicht mehr kommen. Owen wusste nicht, was seine
Frau den ganzen Tag tat. Manchmal weinte sie.
    Silas war im Hass auf seine Mutter gestorben. Und Anna wusste es. Und
sie würde es niemals ändern können.

Anna
    L ass die Erde gefrieren. Lass alle
Schweine sterben. Lass die Balken brechen im Stall.
    Töte die Mutterschafe. Warum haben wir ihnen ihre Lämmer
genommen?
    Wo ist Silas? Wo ist mein schöner Sohn?
    Ist er im Wind, der am Haus rüttelt? In den Fensterscheiben, die
leise zittern? Will er zu mir zurückkommen?
    Wie kann weiter jeden Tag Post kommen? Wie kann das Telefon
läuten? Warum sind die Mauern nicht eingestürzt?
    Warum bist du bei mir geblieben? Schuldest du es Silas, mich am
Leben zu erhalten?
    Wann hat das letzte Mal einer von uns laut seinen Namen gesagt?

Sienna
    D as mit Silas war wirklich traurig, und
ich war nicht bei der Beerdigung. Ich weiß, dass praktisch die ganze Schule da
war und alle aus dem Ort, aber meine Eltern haben gesagt, das würde eine
Horrorshow werden, und es gab Leute im Ort, wissen Sie, für die war ich nicht
das Opfer, schon gar nicht nach der Sache mit Silas, und meine Mutter hatte
Angst, die würden mich womöglich noch beschimpfen, deshalb kam es für sie gar
nicht infrage. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ich hätte hingehen sollen.
Ich habe es an dem Morgen gemerkt, an dem Morgen der Beerdigung, und ich weiß,
dass die Zeitungen Bilder vom Sarg gebracht haben und von den Leuten, wie sie aus
der Kirche kommen und so. Er war doch katholisch, oder? Ja, genau, deshalb
hatte ich auch das Gefühl, ich hätte hingehen sollen. Um zu beten, mein ich.
Ich bin eigentlich nicht gläubig, aber ich hätte Silas die letzte Ehre erweisen
und still an ihn denken können, dass er auch ein Opfer war, auch wenn er, wie
ich schon sagte,

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