Weinzirl 02 - Funkensonntag
dabei, Sie kennen doch die Teilnehmerliste. Ich nehme an …«
»Sie haben nichts anzunehmen!« Und bevor Jo noch irgendwas sagen
konnte, kam der finale Brüller: »Um neun sind Sie hier.«
Langsam sank Jos Kopf auf ihren Küchentisch, und sie begann zu
weinen. Tränen wie der Sprühregen am Funkenabend. Es verging einige Zeit, bis
Moebius kam. Der Kater sprang auf den Tisch, leckte ihr einige Tränen von den
Wangen und legte sich auf ihren Arm. Lange saßen sie so, bis ein vorwitziger
Sonnenstrahl einen flüchtigen Besuch abstattete. Moebius stimmte ein leises
Schnurren an, anders als er sonst zu brummen pflegte. Leise und monoton. Dann
schlief er ein. Es war grabesstill. Jo saß einfach da – lange Minuten. Ein
vorbeifahrender Lkw kam Jo wie ein Verrat an der kurzen Stille vor. Vorsichtig
hob sie den Kater hoch und stellte ihn auf den Boden.
»Danke, Moebius.«
Jo sah auf die Uhr. Es war kurz nach acht. Sie griff zum Telefon und
rief Patti an, die ziemlich verheult klang.
»Der Bürgermeister hat mich …«
»… wild beschimpft. Ich weiß. Ein Choleriker, dessen Wut sich
schwache Ziele aussucht. Ich weiß, und ich sage jetzt nicht: Denk dir nichts!
Wir denken uns beide schon das Richtige.«
»Er hat mich um neun zu sich zitiert.« Patti begann zu weinen. »Es
ist alles so schrecklich.«
»Ja, und jetzt sage ich dir, was du tust. Was haben unsere
Journalisten heute auf dem Programm?«
Patti schniefte. »Ausgiebiges Frühstück mit Produkten lokaler
Direktvermarkter, zehn Uhr Schneeschuhwanderung durch den Naturlehrpfad nach
Diepolz. Besichtigung des Museumsbaus und der Sennerei. Rücktransfer.
Mittagessen im Bergstätter Hof, ab vierzehn Uhr dreißig individuelle
Wellness-Anwendungen. Siebzehn Uhr Aperitif, Pressegespräch und Abendessen im
Strandcafé in Bühl.«
»Gut. Du fährst jetzt ins Hotel und frühstückst mit denen. Du
erzählst das, was du weißt. Wir gehen offensiv mit der Sache um. Es wurde eine
Leiche gefunden. Sie lag im Funken. Wie sie da reingekommen ist, weiß keiner.
Wie der Mann oder die Frau heißt, wissen wir nicht. Statt Schneeschuhwandern
geht ihr eben ganz normal zu Fuß. Im Museum werden die netten Museumsladys
sein. Und der Käser in der Sennerei ist ja sowieso ein Juwel. Der hält dir die
Leute schon bei Laune. Und sonst kannst du ja die Donghli-Geschichte erzählen.«
Die verschniefte Patti musste lachen. »Ja, und dann schreiben alle
über Donghli.«
»Wie du ja weißt, brauchen Schreiberlinge gute Einstiege. So wie
Donghli.«
Vor Eröffnung des Museums hatte es sich nämlich ergeben, dass für
die Deko zum Thema »Bäuerlicher Flachsanbau« Flachspflanzen benötigt wurden.
Keine echten natürlich, sondern künstliche. Der Museumskonservator hatte auch
flugs eine Adresse im ehemaligen Osten aufgetan, spezialisiert auf Kunstblumen.
Aber eine einzige Pflanze war schon richtig teuer gewesen. Und da war er dem
Internet verfallen, und seine Recherche hatte ergeben: Donghli in Hongkong
fälschte alle Pflanzen des Erdenrunds, und das kostete einige Cents. Mit
Donghli war eifrig gemailt worden, und Donghli hatte wegen der Zeitverschiebung
auch gern nachts um drei angerufen. Alles war paletti im
Allgäu-Hongkonger-Flachs-Kulturaustausch. Und »by the way« hatte Donghli dann
mal nach der Menge gefragt. Der Konservator hatte eine Zahl von einigen
Quadratmetern gemailt. Tja, und da war Donghli tief bestürzt gewesen. Die
lieferten nämlich nur schiffscontainerweise! Jo und der Konservator hätten ja
jedem Haus in und um Immenstadt einige Flachspflanzen aufs Auge gedrückt. Man
hätte das Stadtwappen in »Die Flachs-Metropole am Alpsee« ändern können. Aber
so innovativ wollte man denn doch nicht sein. Der Donghli-Deal war gestorben!
Jo musste lächeln, kurz nur, aber immerhin. Der Felsbrocken auf
ihrer Seele hatte nur noch die Größe eines Bachkiesels.
»Also Patti, du machst das schon. Viel Glück!«
»Dir auch, du wirst es nötiger brauchen«, stöhnte Patti.
Jo sah aus dem Fenster. Die Sonne stand am Himmel, über Nacht hatte
es aufgeklart. Erste Föhnwolken zogen über die Berge. Sie zogen schnell
nordwärts, so als spielten sie Fangen.
»Hmm, mega viel Glück. Ihr könnt mich ja dann trösten. Du ziehst das
Programm durch wie geplant, ich bin zum Abendessen da.«
»Aber der Bürgermeister …«, warf Patti ein.
»Das nehme ich auf meine Kappe. Noch bin ich deine Vorgesetzte.«
Das »noch« hing unheilvoll in der Luft. Jos Kopf fühlte sich an, als
wäre er mit
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