Weinzirl 03 - Kuhhandel
müssen und Gerhard
auch, dachte sie trotzig.
Stattdessen rief sie
Svenja auf dem Handy an. Mobilbox! Dann wählte sie die Nummer der Praxis, von
der sie wusste, dass sie Samstagvormittag geöffnet war. Besetzt! Immer wieder
versuchte sie es, bis eine gequälte Stimme sich meldete. »Praxis Doktor
Ostheimer.«
»Grüß Gott. Kann ich
bitte Svenja sprechen?«
Am anderen Ende war
eine Art Schluchzen zu hören. »Leider nein, Frau Doktor Gudmundsdottir ist
leider nicht mehr bei uns. Sie …«
»Frau Ostheimer?
Hier ist Jo Kennerknecht. Was um Himmels willen ist mit Svenja? War sie die
Tote aus der Zeitung?«
»Ach, Frau Doktor
Kennerknecht. Die Polizei hat mir gesagt, ich soll Ausreden erfinden. Aber Sie,
Sie sind doch, waren doch eine Freundin …«, schluchzte es lauter.
»Ist sie tot?« Jo flüsterte.
Röschen Ostheimer
weinte jetzt richtig. »Ja, sie ist tot. Sie hat sich umgebracht. Auf ihrem
Schreibtisch hier in der Praxis lag ein Abschiedsbrief. Gestern war die Polizei
da. Darin steht, dass ihr die Schulden über den Kopf wachsen.« Das Weinen schwoll
an. »Wenn sie uns was gesagt hätte, wir hätten ihr doch geholfen! Haben Sie
denn auch nichts gewusst?«
Durch Jos Kopf
schossen sekundenlang Bilder von Svenja, schnelle Bildschnitte, Einstellungen
ohne Zusammenhang. Details, die unwichtig und sinnlos waren und sich wild
überkugelten in Reihenfolge und Zusammenhang. Sie sah den alten rostigen
Pick-up, der vor Jos Haus am Hang geparkt hatte. Svenja in der Praxis, wie sie
auch hysterische Tierbesitzer beruhigen konnte. Svenjas ärmelloses grünes
T-Shirt mit dazu passendem riesigem grünem Fleck am Oberarm. Falco, der ihren
Arm abgeleckt hatte. Bianchi auf Svenjas Schoß. Svenja ohne Sattel auf Falco
sitzend. Einige leere Röhrchen Cavalon-Impfstoff, die Svenja am Klo vergessen
hatte. Die immer vergessliche Svenja!
»Frau Ostheimer, das
glaube ich nicht. Svenja bringt sich doch nicht um! Svenja doch nicht.«
»Ich fasse es ja
auch nicht, aber es ist wohl so. Sie hat sich sozusagen, nein, das ist einfach
zu grausam, sie hat sich selbst eingeschläfert.«
Als Jo aufgelegt
hatte, raste ihr Herz. Ihr war übel, so übel, dass sie nahe dran war, den
Kaffee zu erbrechen. Svenja, die brachte sich doch nicht um! Svenja, die immer
Tensolvet auf ihre blauen Flecken geschmiert hatte. Jo wurde immer übler.
Svenja, burschikos, chaotisch, grenzenlos optimistisch, vergesslich – die
brachte sich einfach nicht um!
Vergesslich!
Plötzlich fiel Jo das Notizbuch ein. Sie hatte es in ein Bücherregal gestopft.
Als sie es herausnahm, traten ihr Tränen in die Augen. War das nun alles, was
ihr von einer Freundin geblieben war? Das Gefühl kam jäh und schmerzlich: Svenja war eine Freundin gewesen. Nicht bloß ein Kumpel. Sie hatten das nur nie
definiert, aber Svenja war die einzige Freundin in den letzten Monaten gewesen,
seit Jo mit Gerhard keinen Kontakt mehr hatte. Fast widerwillig, so, als
beginge sie ein Verbrechen, schlug sie das Buch auf. Eine weiße Seite. Sie
blätterte. Weitere weiße Seiten. Sie hatte Svenjas Worte noch im Ohr, dass es
wichtig sei. Ein leeres Buch? Jo blätterte erneut, und erst dann bemerkte sie,
dass hinten im kartonierten Einband eine Vertiefung war, über der ein
Löschblatt irgendwie verklebt war. Jo trennte das Blatt ab und war einigermaßen
verwundert, dass eine CD-ROM zum
Vorschein kam.
Jo schaltete ihren
Laptop ein und konnte es kaum abwarten, bis der hochlief. Das dauerte ja
Ewigkeiten! Ja, Passwort, jetzt friss es schon! Virenscanner, ja doch. Mensch,
das dauerte. Endlich konnte sie eine Datei namens »Ochsentour« öffnen. Was sie
da las, hätte indes auch Spanisch, Chinesisch oder Zulu sein können.
Merkwürdige Nummern, und dahinter waren augenscheinlich Medikamente
verzeichnet. Die Listen, das war Jo allerdings klar, schienen direkt aus dem
Praxiscomputer heruntergeladen worden zu sein. Sie hatten ein Praxislogo in der
oberen Ecke. Und noch eins war ihr klar: Sie musste in die Praxis von
Ostheimer, obwohl sie nicht recht wusste, was genau sie zu finden hoffte. Aber
diese Diskette war gewissermaßen Svenjas Vermächtnis. Jo wusste es selbst: Sie
neigte zu Aktionismus, sie preschte durchs Leben. In die Praxis zu gehen klang
einfach. Aber wie sollte sie das bewerkstelligen? Einbrechen?
Und da fiel ihr
Banjo ein. Er huschte als Bild vorbei wie in einem Musikvideo. Banjo – nicht
etwa Benni oder Bangy, nein, Banjo, der eigentlich Benedikt hieß und ein
Meister auf allen möglichen
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